Social Media im Film: Der Kampf der Bildschirme
»The Circle« (2017). © Universum Film
Ausgerechnet mit der Darstellung der sozialen Netzwerke und damit eines der wichtigsten Alltagsphänomene des modernen Lebens hat das Kino so seine Schwierigkeiten, wie die Verfilmung von Dave Eggers' Erfolgsroman »The Circle« erneut belegt. Tim Lindemann über das schwierige Verhältnis von Film, Screen und Monitor
Unsichtbares sichtbar zu machen ist eine der großen Stärken des Mediums Film. Erinnerungen, Assoziationen, Synästhesie – all das hat das Kino in seiner Geschichte geschafft, auf einer zweidimensionalen Leinwand so glaubhaft zu imitieren, dass manche seiner Imitationsmechanismen uns mittlerweile realer erscheinen mögen als unsere ureigenen Empfindungen. Die Darstellung anderer visueller Medien allerdings bedeutete für den Film schon immer eine gewisse Herausforderung – bisher aus dem Grund, dass die Annäherungen an ältere Formen wie die Malerei, das Theater oder die Fotografie in der filmischen Logik gewissermaßen einen Rückschritt bedeuten mussten. Mit der massenweisen Verbreitung des Internets ist das Kino nun anscheinend auf seinen Endgegner gestoßen: Zum ersten Mal scheint der Film schlichtweg außerstande zu sein, eine gesellschaftliche Entwicklung in einleuchtende Bilder zu fassen. Denn wie sieht das Internet aus? Kabel unter der Erde? Leuchtende Servertürme? Schematisierte Verbindungslinien? All diese Imaginationen wirken altbacken, nicht auf der Höhe der Zeit.
Mit der rapiden Verbreitung der Sozialen Medien und vor allem deren monumentaler Popularität in der für den Mainstream-Film so wichtigen jungen Zielgruppe verschärft sich die Herausforderung für Filmschaffende, treffende Bilder für dieses neue Phänomen zu finden – einerseits aus offensichtlichen Profitgründen, aber auch um den Unkenrufen zu trotzen, die bereits ein »postcinematisches« Zeitalter ausgerufen haben. Gelingt es dem aktuellen Erzählkino also, den Sog der sozialen Netzwerke medial zu übersetzen und ihm etwas Neues abzugewinnen? Vermag es der Film, an den kinderbuchbunten Logos solch neuer Giganten wie Google und Facebook vorbeizusehen und zu den darunterliegenden Strukturen vorzudringen? Oft lautet die Antwort Nein; die filmische Auseinandersetzung mit Social Media ist bisher die Geschichte eines, wenn auch produktiven, Scheiterns.
#1 The Social Network – der Urschleim
»Erica Albright ist eine Schlampe. Glaubt ihr, das liegt daran, dass ihr Familienname eigentlich Albrecht ist oder einfach daran, dass alle Mädchen Schlampen sind?« Mit diesem Zitat lässt David Fincher (bzw. Drehbuchautor Aaron Sorkin) in »The Social Network« die Epoche Facebook beginnen. Wer da über seine Exfreundin bloggt, ist kein x-beliebiger Internettroll, sondern der kurz darauf zum jüngsten Milliardär der Welt aufgestiegene Mark Zuckerberg, Erfinder von Facebook, gespielt von Jesse Eisenberg. Schon in der Szene zuvor hat Fincher seinen Protagonisten in wenigen Minuten perfekt charakterisiert: Eisenberg spielt Zuckerberg als brillante, wenn auch hochgradig irritierende Mischung aus Woody-Allen-Neurotiker, College-Slacker und autistischem Genie – das mag mit dem realen CEO von Facebook nicht viel zu tun haben; aber es führt den Zuschauern den toxischen Nährboden aus sexueller Frustration, Nerd-Kultur und amerikanischem Elitarismus vor Augen, aus dem später das weltumspannende Netzwerk mit zwei Milliarden Usern hervorgehen wird.
»The Social Network« erschien nicht einmal eine Dekade nach den Vorgängen, die er beschreibt; dennoch nähert sich der Film der Genesis der Sozialen Netzwerke, als erzähle er von monumentalen Geschichtsumwälzungen – was er gewissermaßen auch tut. Wie schon in »Fight Club« erzählt Fincher hier von der im Wortsinn viralen Verbreitung einer Idee, und das gelingt ihm visuell mit einfachen, aber gerade darum so effektiven Mitteln. Der lawinenartige Erfolg von Facebook wird hier nicht mit hübsch animierten Linien oder Graphen dargestellt, sondern vor allem mit narrativer und inszenatorischer Finesse: Menschen, die mit offenen Mündern auf Bildschirme starren, leuchtende Displays, hektisches Mausklicken. Letztlich aber ist Fincher nicht unbedingt an der konkreten Funktionsweise der Webseite selbst interessiert und entzieht sich geschickterweise auch einer detaillierten Rekonstruktion des Interfaces. Ihm geht es um die paradoxe Entstehung eines globalen sozialen Phänomens aus dem Urschleim einer hochgradig zynischen Subkultur. Damit ist »The Social Network« zwar bis heute der beste Film über soziale Medien; er steht mit seinem klassischen Ansatz aber gewissermaßen auch außerhalb der Gruppe von Filmen, die mit ihrer Struktur und Optik versuchen, der Social-Media-Erfahrung nahezukommen.
#2 Im Netz – Horrorvisionen
Wie jede neue technische Errungenschaft wurden auch das Internet und speziell die sozialen Medien schnell Gegenstand ausgeprägter gesellschaftlicher Ängste und Paranoia. Kein Wunder also, dass vor allem das Horrorgenre sich mit als Erstes die neuen Möglichkeiten der Verunsicherung zunutze machte. Frühe Beispiele wie das B-Movie »Fear Dot Com« (2002) wirken heute mit ihren Plots über verfluchte Webseiten allerdings reichlich albern. Dieses schnelle Verfallsdatum weist auf ein grundsätzliches Phänomen hin: Jeder Film, der sich explizit mit den Effekten von sozialen Medien auseinandersetzt, droht innerhalb weniger Jahre, gar Monate, von der Realität überholt zu werden.
Davon abgesehen stellt sich außerdem die Frage, wie sich die diffuse Angst vor Überwachung und Einflussnahme im Netz überhaupt auf die Leinwand übertragen lässt. Horrorfilme konzentrieren sich darum oft eher auf die anonyme, sadistische Dynamik des Online-Mobs, der seine willkürlichen Opfer durch Mobbing und Preisgabe intimer Details verfolgt – ein durchaus realer Angstfaktor im Alltagsleben vieler Jugendlicher, die ja auch die Hauptzielgruppe des Genres darstellen. Der Film »Smiley« (2012) etwa versuchte, dieses gewalttätige Potenzial in die Form des klassischen Slashers zu gießen und kreierte einen symbolhaften Killer mit dümmlicher Grinsemaske. Das ging so arg daneben, dass der Film nicht nur selbst zum spöttischen Internet-Meme degradiert wurde, sondern sich Regisseur Michael Gallagher ironischerweise selbst erheblichen virtuellen Drohungen ausgesetzt sah.
Aktuelle Varianten sind da raffinierter geworden, geben dafür aber auch beinahe vollständig eine traditionelle Filmästhetik auf. Vorreiter mag der hervorragende Animationskurzfilm »Noah« (2013) – ganz und gar kein Horrorfilm – von Patrick Cederberg und Walter Woodman gewesen sein, der sich ausschließlich auf dem Computerbildschirm des Protagonisten abspielt; man beobachtet den Teenager Noah bei der Nutzung verschiedener Netzwerke wie Facebook, Twitter und Skype, und langsam entfaltet sich eine Story. Auf diese clevere Idee sprang der Film »Unknown User« (2014) auf, der inhaltlich eine Mischung aus »Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast« und aktuellen Geisterfilmen darstellt: Eine Gruppe von Teenies wird online und im »real life« von dem Geist ihrer verstorbenen Freundin heimgesucht, die sie durch Online-Mobbing in den Selbstmord getrieben haben.
Der paradoxe Effekt dieser »Screenshot-Filme« besteht darin, dass sie einen Kinobesuch im Grunde überflüssig machen; selbst auf dem Fernseher entfalten sie kaum Wirkung, Sie sind gänzlich auf die post-cinematischen Sehgewohnheiten einer neuen Generation zugeschnitten, die einen Großteil ihrer Videos auf dem Laptop oder gar dem Smartphone konsumiert. Wenn sich hier das Phantom mit dem allseits bekannten Skype-Klingelton ankündigt, ist der Dopplereffekt vor dem heimischen Computer erheblich. Weitere Experimente im gleichen Stil sollen folgen.
Eine interessante Mischform dieser Spielarten stellt der 2016 zu einer Art Geheimtipp gewordene »Nerve« dar, der mit Emma Roberts und Dave Franco einigermaßen prominent besetzt war. Darin steht ein Online-Spiel geheimer Mutproben im Zentrum und auch hier geht es um die Sensations- und Blutgier der anonymen Masse, die per Mausklick über Leben und Tod entscheiden kann. Zugleich aber verdeutlicht der Film auch durchaus die elektrisierende Erfahrung, Teil einer globalen Community zu sein. Visuell finden die Regisseure Henry Joost und Ariel Schulman wirksame Ausdrucksformen: Die aktiven Benutzer werden als farbige Linien vor der Skyline New Yorks inszeniert; Textnachrichten und Viewer-Zahlen legen sich über das Filmbild; zahlreiche Einstellungen sind aus der Perspektive der Handykamera gefilmt. Tatsächlich wird so eine unsichtbare, digitale Welt sichtbar, die sonst nur den (jugendlichen) Eingeweihten zugänglich ist. Dass diese Verquickung von virtueller und realer Welt am Ende nur auf eine ungelenk konstruierte Moralpredigt hinausläuft, passt wiederum zur zweiten Tendenz des Social-Media-Cinemas.
#3 Gesellschaftliche Auflösung
Zwei sehr ähnliche Filme stehen für den eher distanzierten, »erwachseneren« Blick auf die sozialen Medien: »Men, Women and Children« (mit dem deutschen Verleihtitel »#Zeitgeist«, 2014) von Jason Reitman sowie »Disconnect« (2012) von Henry Alex Rubin mit Jason Bateman. Diese Filme bestärken eine weitverbreitete, kulturpessimistische Sichtweise, die im Gebrauch von sozialen Netzwerken den unabwendbaren Untergang des gesellschaftlichen Miteinanders sieht. Verschiedene (Generations-)Konflikte, die auf Missverständnissen oder Missbrauch der neuen Kommunikationsformen zurückgehen, werden episodisch miteinander verwoben, überkreuzen und beeinflussen sich untereinander. Diese »netzartige« Struktur ist durchaus passend, illustriert sie doch recht organisch die unübersichtliche Mechanik der Schicksale, Geschichten und Verbindungen, die sich unter der Benutzeroberfläche sozialer Medien sekündlich abspielen.
Reitmans Film wird getragen von Emma Thompsons oberlehrerhaftem Voice-over, die mit vornehmem britischem Akzent schnippisch die Irrungen der Protagonisten zwischen Online-Spielsucht und virtueller Pornografie kommentiert. Was dem Film gelingt, ist, die heute allgegenwärtige Interdependenz von realem und digitalem Leben einzufangen: Ein Jugendlicher verliebt sich, als er die Tumblr-Page einer Mitschülerin betrachtet; ein unbedachter Post auf Facebook stürzt eine Familie ins Unglück. »Disconnect« schlägt in die gleiche Kerbe, verzichtet aber auf den leicht ironisch distanzierten Ton von »#Zeitgeist« und setzt stattdessen auf maximale Dramatik. So beginnt Rubins Film etwa mit einer Kamerafahrt durch eine düstere, labyrinthische Wohnung, in der eine Gruppe Jugendlicher ein Sex-Chat-Imperium errichtet hat: Während die Mädchen vor den Webcams strippen, spielen die Jungs im Wohnzimmer »Call Of Duty«. Von Anfang an ist hier also die Stoßrichtung deutlich: Die Jugend versinkt im moralischen Sumpf des regellosen Webs.
Dieser implizite erhobene Zeigefinger, der beiden Filmen gemein ist, macht ihre gelungenen Ansätze zunichte – besser trifft es da schon die komplett überzeichnete Zukunftsvisio#n der »Black Mirror«-Episode »Nosedive«, in der die Likes und Shares den individuellen Stand in einem rigiden Klassensystem definieren. Das Verteufeln der neuen Wirklichkeit mag von einem verständlichen Sichsehnen zurück in eine vermeintlich einfachere, analoge Welt motiviert sein, wirkt aber eben auch etwas hilflos und weltfremd. Beinahe scheint es, als wehre sich das Kino hier gegen sein eigenes Verdrängtwerden als Aufmerksamkeitsmagnet Nummer eins, indem es auf die gefährlichen interaktiven Möglichkeiten der neuen Konkurrenten hinweist; der passive Akt des Filmeschauens birgt eben deutlich weniger Gefahren und Abgründe – und kommt eben vielleicht genau deshalb aus der Mode.
Die Kinoadaption von Dave Eggers satirischem Sci-Fi-Roman »The Circle« (2017), prominent besetzt mit Tom Hanks und Emma Watson, schlägt den entgegengesetzten Weg ein: Statt der familiären Mikroebene des Social-Media-Alltags wird den Zuschauern ein Blick in die obersten Schaltzentralen eines fiktiven Konzerns gewährt, der in der nahen Zukunft alle Internetdienstleistungen in sich vereint und zunehmend autoritären Einfluss auf die globale Gesellschaft nimmt. Eggers ließ in seinem Roman keinerlei Hoffnung zu: Die freiwillige Preisgabe von Daten und deren Verknüpfung führt bei ihm nicht zu einer offeneren, vorurteilsfreien Gesellschaft, sondern zu einer neoliberalen, sektenartigen Diktatur der Technologie. Dass sich die Filmversion von James Ponsoldt nicht richtig traut, diese pessimistische Vision zu übernehmen, spricht für ein weiteres Problem des Mainstream-Kinos mit den sozialen Netzwerken: Eine kritische Abrechnung mit den ökonomischen Praktiken der Datenkraken ist eine derzeit schlichtweg zu unpopuläre Position, um sie als thematischen Aufhänger eines Blockbusters zu riskieren.
#4 Dokumentarisches – Nutzbarmachung digitaler Ästhetik
Der vielleicht beste Beitrag zur seltsamen Spiegelwelt sozialer Medien, die zumindest scheinbar gänzlich neue Formen von Beziehungen – freundschaftlicher, geschäftlicher, romantischer Natur – ermöglicht, ist die Doku »Catfish« (2010) – der Debütfilm des Regisseurteams hinter dem bereits erwähnten Thriller »Nerve«. Die jungen New Yorker Filmemacher begleiten Ariels Bruder Nev, der durch puren Zufall in intensiven Online-Kontakt mit einer Familie aus Michigan gerät. Zunächst tauscht man sich vor allem künstlerisch aus, allmählich aber beginnt Nev eine intensive Internetromanze mit der älteren Tochter Megan. Als erste Zweifel an deren Identität auftauchen, machen sich die drei auf den Weg, um Megan zu stellen. Sie stoßen auf eine einsame, ältere Frau, die sich die komplexen Familienstrukturen samt Facebook-Profilen und Chat-Verläufen mit großem Aufwand gänzlich ausgedacht hat.
Kein anderer Film ermöglicht einen so atemberaubend ernüchternden, wenn auch natürlich gänzlich willkürlichen Blick hinter die Kulissen des digitalen Marktplatzes; den Regisseuren geht es dabei aber nicht um Bloßstellung, sondern vielmehr um die letztlich tieftraurige Leere, die sich hinter dem elaborierten Online-Leben vieler Menschen zweifellos verbirgt. Bemerkenswert ist dabei auch, wie »Catfish« sich der Optik von Facebook, Google Maps und anderen Plattformen bemächtigt und sie für seine investigative Suche nach dem Realen im Digitalen nutzbar macht. Der Film – der ein eher fragwürdiges TV-Spin-off nach sich zog – steht mit diesem intuitiven Verständnis der neuen Ästhetik aber auch mehr oder weniger allein da. Dokumentarfilme wie beispielsweise »Terms and Conditions May Apply« (2013) oder Werner Herzogs »Wovon träumt das Internet?« (2016) nähern sich ihren drängenden Themen – Datenschutz, Net Neutrality und so weiter – im eher klassischen Talking-Heads-Format.
So bleibt abzuwarten, ob sich das lineare Erzählmedium Film weiter vergeblich an seinem schier übermächtigen, interaktiven Konkurrenten abarbeitet, auf eine friedliche Koexistenz hofft oder doch noch einmal neue visuelle Strategien zur Darstellung und Kritik der digital-sozialen Vernetzung findet. Aktuelle Beispiele geben allerdings wenig Anlass zur Hoffnung: Mit dem Einzug von »Emoji – Der Film« (in Deutschland Anfang August gestartet) in die Multiplexe der Welt erfüllt sich eine grauenhafte Vision des Kinos als primitives Marketingwerkzeug der Social-Media-Konzerne, die ihrer jungen Zielgruppe mit der einen Hand grinsende Kothaufen als Merchandise verkaufen und mit der anderen ihre in diversen Apps preisgegebenen Daten meistbietend verscherbeln.
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