Kritik zu Als Paul über das Meer kam – Tagebuch einer Begegnung
Eigentlich wollte Jakob Preuss einen Film über das EU-Grenzregime machen, als die Bekanntschaft mit einem Flüchtling sowohl sein Projekt als auch sein Handeln verändert
Ein Golfplatz mit sanften Hügeln in sattem Grün, umrahmt von einem haushohen, drahtbewehrten Grenzzaun, an dem wie große Käfer Menschen hängen. Das sieht aus wie eine plakative Fotomontage, ist in Melilla, der spanischen Exklave vor Marokko, aber Realität – und die Anfangseinstellung dieses Films, bevor die Kamera dann auf die andere Seite der wehrhaften Grenze geht, wo im lichten Wald Migranten aus dem südlichen Afrika campieren.
Einer von ihnen ist Paul Nkamani, ein sympathischer, nicht mehr ganz junger Mann aus Kamerun, der wegen Aufmüpfigkeit von der Uni flog und seinen Vater mangels bezahlbarer Medikamente an eine Krankheit verlor. Jetzt will er nach Europa, um wenigstens der Mutter und sich selbst ein anständiges Leben zu schaffen. Weil ihm der Zaun zu riskant scheint, hat er sich für die nicht wesentlich weniger gefährliche Bootsüberfahrt entschieden und das Geld für diese Schleusung mit Mühe in Marokko zusammengespart. Ein sogenannter Wirtschaftsflüchtling also, der nun auf das Signal zum Aufbruch wartet und dabei den deutschen Filmemacher kennenlernt, der im Camp für einen Film recherchiert. Jakob Preuss interessiert sich für die Geschichte des Kameruners und filmt einige Szenen mit ihm, bevor Paul verschwindet. Als der Filmemacher ihn dann zufällig in einem TV-Bericht über die Überlebenden eines Bootsunglücks wiedersieht, macht er ihn im Abschiebegefängnis von Tarifa ausfindig – und hat das Thema für seinen Film gefunden.
Paul hat Glück und kommt nach einigen Monaten frei. Er hat auch einen starken Willen. Und ahnt, dass der Kontakt zu dem Berliner Filmemacher ihm bei seiner Flucht nützlich sein kann. In Deutschland sind die Asylchancen für einen Kameruner aber nicht gerade rosig. Besser wäre eine Heirat. Vielleicht kann der Filmemacher Paul ja in Berlin eine deutsche Ehefrau vermitteln? Die Pros und Kontras berät Paul mit einem Freund an einer Straßenecke in Bilbao; doch weil das Gespräch auf Pidgin-Englisch stattfindet, versteht Preuss es erst, als er in der Postproduktion mit einem Dolmetscher das Material durchgeht.
Ein klassisches Dokumentaristenschicksal, von dem Preuss in seinem tagebuchartig arrangierten Film in amüsiertem Ton erzählt. Typisch auch die anderen Verstrickungen, in die der Filmemacher bald gerät, wenn sich sein allgemein angelegtes Filmprojekt zu einer persönlichen Hilfsaktion mit entsprechend diffizilen rechtlichen und moralischen Fragestellungen entwickelt. Dabei agiert der studierte Jurist im Kommentar angenehm reflektiert. Ergänzt werden die Notizen des Tagebuchs durch animierte Visualisierungen von Pauls Fluchterfahrungen und Interviews etwa mit deutschen Bundespolizisten, die vermutlich noch aus dem ursprünglichen Filmprojekt stammen. Eine erfreulich offene, vielschichtige Form der Darstellung, die statt Idealisierung der durchaus charismatischen Hauptfigur die Kontingenz menschlichen Handelns deutlich macht. Zur Ehevermittlung, soviel sei vorhergesagt, kommt es bis zum Filmende nicht.
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