Kritik zu Ein Chanson für Dich
Vom Schlagerstar in die Pastetenfabrik und wieder zurück: Isabelle Huppert als eine Frau, die spät noch einmal aufblüht – dank der Musik und einem sehr jungen Liebhaber
Sie verleiht ihren Figuren stets die Aura von Verletzlichkeit und Stärke, kühler Distanz und zerbrechlicher Scheu, von Verbissenheit und Lebensfreude: Isabelle Huppert. Egal ob sie eine von ihrem Mann verlassene Philosophiedozentin mimt (»Alles was kommt«), eine besessene Kriegsfotografin (»Louder Than Bombs«) oder wie zuletzt in Paul Verhoevens »Elle« eine vergewaltigte Pariserin der oberen Mittelschicht. Zugleich eignet ihr oft etwas Rätselhaftes und Selbstbeherrschtes, fast Sprödes – so wie jetzt in »Ein Chanson für Dich«.
Liliane (Huppert) arbeitet in einer Pastetenfabrik. Mechanisch verrichtet sie ihre Arbeit im sterilen Ambiente: Die Pasteten in den weißen, rechteckigen Formen verziert sie mit Lorbeerblättern, Wacholderbeeren und Cranberries – jeden Tag immer gleich. In der Mittagspause wickelt sie ihr penibel verpacktes Sandwich aus, verlässt mit der Werkssirene die Fabrik und schaut dann in ihrer Wohnung bei dem ein oder anderen Drink sinnlose TV-Shows. Sie lebt einfach so vor sich hin – bis Aushilfskraft Jean (Kévin Azaïs) auftaucht. Er ist es, der in Liliane das einstige Schlagersternchen Laura erkennt, jene Sängerin, die sich beim Grand Prix Eurovision de la Chanson vor Jahrzehnten Abba geschlagen geben musste und dann schnell in Vergessenheit geriet. Zunächst leugnet Liliane ihre Vergangenheit, bis es dem 22-Jährigen, der von einer Boxerkarriere träumt, doch irgendwann gelingt, sie zu einem Auftritt auf einer Feier seines Vereines zu überreden. Tatsächlich beginnt sie, sich mehr und mehr an die glamourösen Zeiten zu erinnern. Träumerisch holt sie eine ihrer Roben von damals aus dem Schrank.
Als sich Jean nach einem verlorenen Kampf eingesteht, dass sein Talent für die große Karriere nicht ausreicht und Liliane zunehmend Gefallen an den Auftritten findet, macht er sich zur Aufgabe, ihre Karriere als ihr Manager wieder aufleben zu lassen. Ihr Liebhaber ist er da schon – nicht gerade zur Freude seiner Eltern oder zumindest seiner Mutter. Doch trotz des enormen Altersunterschiedes hat diese Liaison für die beiden etwas völlig Selbstverständliches, Unverkrampftes – dazu trägt auch das ernsthafte und zugleich jungenhafte Spiel von Azaïs bei.
Und so tingelt Liliane von Seniorenheimen über Volksfeste zu Soldatenabenden. Dabei spielt Regisseur und Drehbuchautor Bavo Defurne immer wieder mit krassen Gegensätzen, die er fein arrangiert und von seinem Kameramann Philippe Guilbert einfangen lässt. Da posiert Liliane vor dem Spiegel im weichen Licht mit ihrem roten Abendkleid, im nächsten Augenblick blendet die grelle Beleuchtung der Pastetenfabrik, Liliane im weißen Kittel, mit blauer Schürze und weißer Haube. Ein anderes Mal hat sie für sich und Jean ein Abendessen bereitet, neben dem Hummer leuchten rote Rosen im Kerzenlicht. Zur gleichen Zeit sitzt Jean mit seinen Eltern auf einem schäbigen Campingplatz. Es ist auch ein Spiel mit den Erwartungen des Zuschauers und den Wünschen der Protagonisten. Eine traurig-schöne und ungewöhnliche Liebesromanze, die vor allem von der Präsenz Hupperts lebt.
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