The Osbo Incident

Robert Osborne bei den Peabody Awards (2013)

Gestern schrieb ich über einen Nachruf, der voller Boshaftigkeit steckte. Diese Gefahr besteht heute nicht. Ich habe nie gehört, dass irgendwer je etwas Schlechtes sagen konnte über den Mann, über den ich nun schreiben will. Uns verband, wie er es ausdrücken würde, eine "goldene Freundschaft". Dem Rechnung zu tragen, ist schwierig. Er bedeutete mir so viel. Das ist mittlerweile die vierte Fassung dieses Textes. Er  hätte Verständnis dafür gehabt, er gab sich beim Schreiben auch nicht leicht zufrieden.

Schon seit einiger Zeit machte ich mir Sorgen um den Gesundheitszustand von Robert Osborne. Über lange Jahre hinweg hatte er sein Nierenleiden im Griff. Es hielt ihn weder von der Arbeit noch vom Reisen ab. Er verstand es, sein Leben zu organisieren. In den letzten zwei Jahren hatte er das Festival, das sein Sender »Turner Classic Movies« in Los Angeles veranstaltete, ausfallen lassen. Es war schwer, die Wahrheit aus einem derart diskreten Menschen wie ihm hervorzulocken. Wie Rock Hudson gehörte er einer Generation in Hollywood an, die es gelernt hatte, Schweigen über viele Dinge zu wahren.

Zum letzten Mal telefonierten wir am Heiligabend. Aus seiner Stimme klang ein Optimismus, dem nicht beizukommen war. Sie war hell, kräftig und einnehmend. Tatsächlich war sie etwas sonor und klar. Aber hell stimmt trotzdem. Anfang Januar habe er ein Treffen mit den Leuten von Turner Classic Movies, für die er seit 1994 als Host arbeitete und wo er sich eine Auszeit genommen hatte. Das war die einzige Zeit in seinem Erwachsenenleben, in der er nicht arbeitete. Es überraschte ihn, wie sehr er die Muße genoss. Vielleicht wollte er seine Memoiren schreiben. Er war vielen Hollywoodstars begegnet im Laufe der Jahrzehnte, aber er würde keine Enthüllungs- oder Klatschgeschichten erzählen. Das Gegenteil hätte mich überrascht. »The Man who kept the secrets« wäre ein guter Titel gewesen. Und spannend wäre das Buch auf jeden Fall geworden. Jetzt, da die Dialyse ihm nicht mehr half, sollte es einer anderer schreiben.

Die Nachricht seines Todes verbreitete sich wenige Stunden später bereits auf allen TV-Kanälen in den USA, wie mir unsere Freundin Deborah Goodwin gestern Abend berichtete. Bob war eine echte Berühmtheit, was man aber nicht merkte, wenn man mit ihm sprach. Ursprünglich wollte er Schauspieler werden. Er stand unter Vertrag bei Desilu, der Produktionsfirma von Lucille Ball und Desi Arnaz. (Sie kennen den Firmennamen aus dem Vorspann der ersten Staffeln von »Raumschiff Enterprise«.) Auf Youtube kann man ein paar kurze Auftritte von ihm sehen. Er war ein gutaussehender Mann. In mittleren Jahren erinnerte er mich an Robert Cummings, in späteren Jahren beinahe an Robert Wagner (der zugegen war, als Bob seinen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame erhielt). Lucille Ball riet ihm zu einer anderen Karriere. Sie hatte bemerkt, dass ihm das Schreiben besser lag. Auf einigen Umwegen (unter anderem verfasste er liner notes für Plattenalben) kam er zum Branchenblatt »The Hollywood Reporter«, für das eine Kolumne schrieb, zunächst aus Los Angeles, das ihm mit den Jahren immer fader erschien, obwohl er dort phänomenal vernetzt war, und dann aus New York, wo er sich tatsächlich zuhause fühlte. In Filmkreisen wurde er nicht zuletzt als Verfasser der Offiziellen Geschichte der Oscars geschätzt.

Wir lernten uns vor 30 Jahren auf dem Festival des amerikanischen Films in Deauville kennen, über das Bob für den »Reporter« und einen Kabelkanal berichtete. Zu Bobs 70. Geburtstag im Mai 2002 stellte ein Freund eine Gedenkschrift zusammen, zu der ich eine Drehbuchszene beisteuerte, die unsere Begegnung schildert:
 



FADE IN:

A CHIC HOTEL ON THE NORMANDY COAST – DAY

At the pool, a Journalist is interviewing a well-known Hollywood Director for a TV program. The Interviewer is obviously good at what he's doing; he asks and listens with an air of relaxed earnestness. It's hard to tell what age he is: although his hair is grey, he smiles with reassuring youthfulness. He has an easy-going rapport with the filmmaker; they don't seem to be aware that there are TV cameras rolling.

We don't even have to hear them to be sure that the interview is going well – actually, we hardly hear anything else but the musical score which has a slightly nostalgic feel to it and evokes the lush atmosphere of a lazy September afternoon. The Producer of the TV program is sitting next to the camera. After several years of collaborating with the interviewer, she's confident to get what she needs. She checks the framing on the monitor once more before her mind wanders off in the warmth of the late afternoon sun.

We move in on two Young Journalists who are sitting at a little distance. They seem to be a bit out of place here, but listen nonetheless attentively. As we move in even closer, we discover that their tape recorder is running.

DISSOLVE TO:

INT. HOTEL LOBBY – DAY

One of the Young journalists is strolling through the lobby when he discovers the Experienced Journalist and his Producer sitting near a column with their luggage. The struggle between his shyness and determination is short. He walks over to them.

YOUNG JOURNALIST

(he's still a bit in awe of them; also because he now realizes what an attractive woman the Producer is) Mr. Osborne, excuse me if I disturb you. My name is Gerhard Midding. I'm a journalist from Germany. You may remember that Paul Mazursky brought us with him yesterday to the interview.

EXPERIENCED JOURNALIST

Oh yes. How are you? Have you met my friend Deborah?

YOUNG JOURNALIST

(awkwardly shakes her hand while she smiles) Oh, hello. Actually, Mr Mazursky encouraged us to join you two because our interview with him was cut short. He said: »He won't mind, he's just from the Hollywood Reporter.«

EXPERIENCED JOURNALIST

(thinking what a strange thing for him to say)

YOUNG JOURNALIST

(feels more comfortable and kneels down) I'm glad that I caught you before you leave. Because... well ... actually, we taped the interview. I wonder if you mind if we used parts of it.

EXPERIENCED JOURNALIST

(if he's reluctant, he doesn't show) No.

YOUNG JOURNALIST

Because it was such a good interview. Of course, we'll only incorporate parts of the answers, not the questions.

EXPERIENCED JOURNALIST

Great. Just credit »The Movie Channel«.

YOUNG JOURNALIST

Wonderful. Maybe I'll also use it for a radio program. If you give me your address, I can send whatever's published to you.

EXPERIENCED JOURNALIST

Okay. (writing on a piece of paper) Just credit »The Movie Channel«.

YOUNG JOURNALIST

Thanks a lot, I'm very grateful for that.

EXPERIENCED JOURNALIST

(wondering when the taxi will finally come) That's what we are here for, to help each other.

As the Young journalist looks at the handwritten address, he's doesn't know yet that he will keep it until his wallet is stolen more than a decade later; what he's also unaware of is the fact that this is the beginning, as they say, of a beautiful friendship.

FADE OUT



In den nächsten Jahren wurden wir zu einem eingespielten Team. Keiner von uns hätte es gewagt, Deauville im September zu verpassen. Natürlich sahen wir uns Filme an. Aber am liebsten redeten wir und unternahmen Ausflüge in die Normandie. Im zweiten oder dritten Jahr gaben wir uns Kosenamen. Auf »The Osbo Incident« kam ich, als in der Hotellobby ein Missgeschick mit seinen Koffern passierte (und natürlich, weil er William Wellmans Western liebte); Deborah hieß fortan »Lady Valise«, denn sie reiste gern, und ich »Skipper«, weil ich am Lenkrad saß. Es war immer klar, dass Bob und ich unterschiedliche Arten von Journalismus betrieben. Aber der Gesprächsstoff ging uns nie aus.

Sein großes Talent war die Umarmung. Sein Charme war unbezwingbar und demokratisch. Er konnte jedermann das Gefühl geben, er habe nur darauf gewartet, ihn kennenzulernen. Das erstreckte sich auch auf Freunde, die man ihm vorstellte. An meinem Vater hatte er einen Narren gefressen. Seine Ironie konnte schneidend sein, aber ich kenne niemanden, den er je verletzt hätte.      Schüchternheit war ihm fremd. Stars begenete er auf Augenhöhe. Ich lernte, dass das vieles leichter macht für beide Seiten. Aus vielen Begegnungen wurden lebenslange Freundschaften. Olivia de Havilland rief er an jedem Sonntag in Paris an. Er war ein enger Vertrauter von Bette Davis (»Sie war immer ein Kämpfer«, diktierte er mir, als ich einen Nachruf auf sie schrieb, "und die Tragödie ihrer letzten Jahre war, dass sie niemanden mehr hatte, gegen den sie kämpfen konnte.«). Als ich ihm erzählte, wie großartig ich Barbara Rush in »Fremde, wenn wir uns begegnen« fand, stellte er mich ihr beim nächsten Besuch in Los Angeles vor. Sie brachte immer ihr eigenes Salatdressing mit, was die Kellner mit routiniertem Gleichmut quittierten. Einmal arrangierte er ein Essen mit ihr und Ross Hunter, dem Produzenten der Universal-Melodramen von Douglas Sirk sowie der Komödien mit Doris Day und Rock Hudson. Hollywood war eine kleine Welt, wenn man Bob kannte.

Als wir zu Weihnachten telefonierten, erzählte er, die gerade verstorbene Debbie Reynolds habe ihm  seinerzeit geraten, nicht das Angebot des etablierten Kabelkanals »American Movie Channel« anzunehmen, sondern auf den Newcomer »Turner Classic Movies« zu setzen: Der besaß den interessanteren Filmstock, denn Ted Turner hatte die Archive von Warner Brothers, MGM und RKO gekauft. Vor dem ersten Dinner, bei dem Bob an dessen Seite sitzen sollte, befragte er alle möglichen Leute, über welche Themen er denn mit dem Magnaten sprechen könne - und musste dann feststellen, dass der ein echter movie buff war und ihn nichts mehr interessierte als Filme.

Die Entscheidung war ein Glück für Bob und ein noch größeres für den Sender. Kaum jemand kannte sich besser in der Geschichte Hollywoods aus als er. Wer sonst konnte noch aus erster Hand berichten, wie es war in den Zeiten von George Cukor oder Judy Garland? Das machte ihm zum Siegelbewahrer einer vergangenen Epoche. Und er hatte ein Fernsehgesicht, das Vertrauen weckte. Er war ein Gewährsmann des Publikums, Fan und Insider in einer Person. Den Zuschauern eröffnete er den Blick hinter die Kulissen der Traumfabrik, ohne dass diese an Glamour verlor. In seinen Anmoderationen sprach er nicht nur über Stars und Regisseure, sondern auch über Drehbuchautoren, Kostüm-und Szenenbildner. Ein Cinéphiler war er nicht, sondern einer, der das Kino liebte.

Seine Vorfahren stammten aus Deutschland, er hatte einige »Wunderlichs« in seinem Stammbaum entdeckt. Es stellte sich heraus, dass auch seine Vorfahren Bauern gewesen waren. Sein Wunsch, das Land kennenzulernen, in dem Conrad Veidt und Marlene Dietrich geboren wurden, erfüllte sich nur einmal (wir hatte immer Paris). Er wurde nach Berlin eingeladen, als zum ersten oder zweiten Mal der Europäischen Filmpreis verliehen wurde. Er wollte unbedingt im Kranzler zu Mittag essen. Ich übersetzte die Speisenkarte und er war begeistert, dass es ein Gericht gab, das Bauernfrühstück hieß. »Let's take it«, sagte er mit einer Begeisterung, die keinen Widerspruch zuließ, »isn't that what we are at heart, farmers?«

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