Der Party-Prinz

und die etwas anderen Shakespeares des Web 2.0
Tom Hiddleston in »The Hollow Crown«

Das Web spricht neuerdings in Blankversen. Das liegt aber nicht an »Göhte« und Elyas M’Barek, sondern an Shakespeare und Tom Hiddleston

In den neunziger Jahren hatte Shakespeare einen guten Lauf im Kino; da versuchte sich eine ganze Reihe prominenter Regisseure und Schauspieler, von Kenneth Branagh über Baz Luhrmann bis Mel Gibson, an den populären Stücken des Autors. Inzwischen ist es ruhiger geworden – neuere Adaptionen starten nicht mehr international, sondern schaffen es nur ins Fernsehen oder auf DVD wie die letzten Komödienverfilmungen von Branagh und ein blutiger Coriolanus von Ralph Fiennes, der immerhin noch auf der Berlinale lief.  
 
Da ist es keine geringe Leistung, wenn es einer Produktion gelingt, mit Shakespeare ein Popphänomen loszutreten. Vor allem, wenn es sich dabei nicht um den »Hamlet« handelt, sondern um die viel sperrigeren Königsdramen mit ihren durchnummerierten Richards und Henrys, den ewigen Thronfolgeproblemen und staatstragenden Reden. Das großangelegte BBC-Projekt »The Hollow Crown« versammelt »Richard II.«, den zweiteiligen »Henry IV.« und den vergleichsweise gern gesehenen »Henry V.« als TV-Filmreihe; ein weiterer Zyklus ist in Produktion. Und obwohl diese Stücke, die vom Streit zweier Herrscherhäuser, dem »War of the Roses«, und von Englands Weg zum zentralisierten Staat erzählen, kompromisslos kostümiert und konventionell-naturalistisch in Szene gesetzt sind, spuken sie durchs Internet, infizieren Werbeclips und inspirieren Fanvideos.
 
© Focus Features
 
Das Missing Link zwischen Kunst, Kommerz und Kult ist der als Superschurke Loki in den Marvel-Filmen zum neuen, äh, Sexgott aufgestiegene Tom Hiddleston. Der sendet, seit er in »The Hollow Crown« spielte, Shakespeare auf allen Kanälen. In den Fanvideos schlendert er als Kronprinz Harry, später Henry V., zu Songs von The Clash und Adele durch Londons verdreckte mittelalterliche Gassen: »Never thought I’d vid Shakespeare, but here we go«, meint eine der Filmemacherinnen. Im neuen Spot der Automarke Jaguar zitiert Hiddleston aus »Richard II.«; in der Lyrik-App »The Love Book« liest er ein Sonett. Und junge Philologinnen diskutieren an einem Hiddleston-Monolog, was es auf sich hat mit Prinz Harry, der in »The Hollow Crown« die zentrale Rolle spielt. Anfangs ein scheinbar nichtsnutziger Drop-out, der mit Huren, Tagedieben und einem heruntergekommenen Gentleman names John Falstaff (Simon Russell Beale) in Kneipen herumhängt, entwickelt sich der Sohn des Usurpators Henry IV. (Jeremy Irons) im Laufe von drei Stücken zum allseits beliebten Herrscher und siegreichen Feldherrn.
 
Meistens wird Harrys Karriere als »Reifeprozess« dargestellt, als politische Bildung des idealen Königs; in kritischeren Inszenierungen ist er ein mieser Strippenzieher, der dem Volk nur aufs Maul schaut, um es desto sicherer zu manipulieren. Richard Burton und Timothy Dalton haben Harry auf der Bühne gespielt, Laurence Olivier und Kenneth Branagh im Film die berühmte Wehrertüchtigungsrede des Königs auf dem Schlachtfeld von Agincourt gehalten, wo die Engländer gegen eine angeblich erdrückende französische Übermacht (5:1 sagt die Legende) einen ihrer größten Triumphe erfochten.
 
St. Crispin’s Day Speech  © PBS
 
Der neue Harry ist anders: ein zweifelnder, nachdenklicher Wanderer zwischen den sozialen Sphären, der seine Partyjahre genießt, Realpolitik eigentlich nicht so prickelnd findet und blass wird, als er Frankreich überfallen soll. Die »St. Crispin’s Day Speech« schmettert Hiddleston nicht wie seine Vorgänger mit rollenden R’s in die Runde, vielmehr spricht er sie mit weicher Stimme zu einer Handvoll Adliger – sehr intim, am Ende tränenerstickt. Im direkten Vergleich wirken Olivier und Branagh plötzlich ganz schön hammy, wie der Engländer für übertrieben theatralisch sagt. Und man wundert sich nicht mehr über den Crossover-Appeal von Hiddleston – er ist in der Figur angelegt.
 
In Interviews sagt der Schauspieler, Shakespeare habe ihn zu den Superhelden geführt – schließlich war es der mit hochnoblem Familiendrama angereicherte, von Branagh inszenierte Thor, der ihm zum Durchbruch verholfen hat. Damit steht er in einer großen Tradition. Die Briten haben ihre Hochkulturprodukte schon immer gerne mit Auftritten von Kino- und TV-Celebrities gepfeffert, umgekehrt sind viele britische Exportstars aus dem klassischen Theater herausgewachsen. »Star Trek« oder Shakespeare, Macbeth oder Magneto? Ist egal. Leute wie Ian McKellen, Helen Mirren, Patrick Stewart oder John Hurt können alles. In der Fortsetzung von »The Hollow Crown« spielt Benedict Cumberbatch Richard III. Das wird einen Fan-Tsunami geben.
 
 
GB 2012
R: Richard Eyre, Rupert Goold, Thea Sharrock
Anbieter: Universal
FSK: nicht geprüft
L: 505 Min.
 
 

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