Kritik zu Der die Zeichen liest
Ein Schüler beginnt, die säkularen Unterrichtsinhalte an seiner Schule mit Hilfe von Bibelzitaten infrage zu stellen – und bald sind es die liberalen Lehrer, sie sich in die Enge gedrängt fühlen
Wenja ist ein religiöser Fanatiker. Ein Teenager, der sich mit der bekanntlich beträchtlichen Energie eines heranwachsenden jungen Mannes der Bibel hingibt. Das Buch der Bücher hat Wenja sozusagen immer im Anschlag, und er fackelt nicht lange, wenn es gilt, mit seiner Hilfe Zeugnis abzulegen für den Herrn und wider die Ungläubigen. Und Ungläubige gibt es viele. Zumindest viele, die ungläubig aus der Wäsche gucken, wenn Wenja so richtig loslegt und ihnen die Bibelzitate nur so um die Ohren haut. Wenjas Mutter Inga – alleinerziehend, drei Jobs – hatte die Weigerung ihres Sohnes, am Schwimmunterricht teilzunehmen, auf die spontanen Erektionen eines Pubertierenden zurückgeführt. Als er ihr sagt, die aufreizende Fastnacktheit seiner Mitschülerinnen verletze seine religiösen Gefühle, lacht sie ihn aus. Aber das Lachen vergeht ihr alsbald, und nicht wenigen anderen auch. Denn Wenja ist nicht nur bibelfest, er ist auf einem Kreuzzug.
Mit »Der die Zeichen liest« adaptiert der russische Film- und Theaterregisseur Kirill Serebrennikov das Bühnenstück »Märtyrer« von Marius von Mayenburg, seines Zeichens seit 1999 Hausautor der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, wo das Drama im Februar 2012 auch uraufgeführt wurde. Serebrennikov verlagert den Schauplatz nach Kaliningrad (vormals: Königsberg, Geburts- und Wirkungsstätte von Immanuel Kant, Quasi-Erfinder der Aufklärung). Die russische Enklave, gelegen zwischen Polen und Litauen, ist wie prädestiniert dafür, um Gegensätzliches zu kontrastreichen Konflikten zu verdichten. Denn was passiert, als Wenja – bevorzugt im Klassenzimmer – gegen die herrschende Morallosigkeit und gegen weichgespülte Glaubensinhalte zu Felde zieht? Die liberalen Lehrkräfte lassen sich verunsichern. Vielleicht sind die Mädchen ja doch ein wenig zu luftig angezogen? Vielleicht sollte die Evolutionstheorie Darwins von der biblischen Schöpfungsgeschichte gegengewichtet werden? Vielleicht sollte man den Sexualkundeunterricht etwas weniger anschaulich gestalten?
Eine Weile schillert es ambivalent und riecht nach Meinungspluralität, hat doch ein jedes Ding zwei Seiten und sollte eine offene Gesellschaft auch fundamentalistischen Meinungen tolerant begegnen können. Sollte sie? Serebrennikov gibt die Frage ans Publikum weiter beziehungsweise schleudert sie ihm vor die Füße. Nicht, ohne sie zuvor in ihrer ganzen hirnsprengenden Komplexität zu entwickeln. Denn auch die Biologielehrerin, die Einzige, die Wenjas christlicher Propaganda das Licht der Aufklärung entschlossen entgegenhält, nimmt bald schon die verbohrten Züge der Dogmatikerin an.
»Der die Zeichen liest« ist eine bittere Groteske, in formvollendet langen Einstellungen mit ruhiger Hand elegant inszeniert, konzentriert auf die das Geschehen vorantreibenden verbalen Schlagabtausche, die Eskalation der Widersprüche dabei immer fest im Blick. Schwarzer Humor? Ja, freilich, pechschwarz sogar, aber das Lachen, wie gesagt, es bleibt einem im Halse stecken. Nicht zuletzt weil das erste Opfer, wie immer, die Unschuld ist.
Kommentare
Der Film kreist immer um das
Der Film kreist immer um das gleiche Thema: Die unüberbrückbare Kluft zwischen religiösem Fanatismus und der "modernen Wissenschaft". Aber dieser Konflikt wird im Film eben nur in verschiedenen Varianten gezeigt, eine inhaltische Auseinandersetzung findet nicht wirklich statt. Und genau das macht den Film zum Ende hin schon ein wenig langweilig... Schade, ich hatte mich auf interessantere, dafür weniger "hysterische" Diskussionen zwischen Wenja und seiner Lehrerin gefreut.
Meinung zum Film - völlig verkrampfter Schwachsinn
Bei vielen Filmen findet man einen Inhalt, eine Identifikation, einen tieferen Sinn, vielleicht eine vollendete Tragik, möglicherweise ein leichtes happy end - hier ist nichts. Einen anspruchsvollen Film ohne viel Action und den millionsten Kriminalfall, das hatten wir erwartet. Ein religiöser Eiferer in einer schon umgewandelten postkommunistischen Gesellschaft, wo der Eiferer noch belehrend für den Popen wird, zum Schluß denunziant-bösartig und ein Mörder, unklar, was das sollte. Möchte mal deutlich werden, weil ich mich verdammt geärgert habe - steckt euch den Scheiß in den A. !
Völlig unverständlich, wie man sowas drehen kann ...
Postsozialistisch ist der Religionswahn eh schon eingekehrt in Rußland, nun setzt das Ding noch mit einem mordenden und denunzierenden völlig verblendeten religiösen Eiferer noch dem Ganzen die Krone auf. Belehrt obendrein den sowieso schon mittelalterlichen Popen, und man sieht im gesamten Film keinen Sinn, keinen vernünftigen ablauf, keine Perspektive. anspruchsvoll ist das nicht, unterhaltsam nicht, lehrreich nicht, was sollte das ???
Möglich noch zu entnehmen, daß durch den wiedererstarkten Kircheneinfluß auch vernünftig denkende schon gleichgeschaltet werden ...
Habe mich ziemlich über diesen Unsinn geärgert, verlorene Zeit !
(M)uchenik lehrt uns fünf Lektionen:
• Daß man auch ohne Kokain einen Gottkomplex haben kann.
• Was wahrhaft gottserbärmliche Interieurs (Tapeten, Vorhänge, Polsterbezüge) in einer Teenagerseele anrichten können.
• Wie ein fauler Apfel einen ganzen Korb verseucht.
• Daß es immer Unwesen gibt, die nur auf den Startschuß lauern, unter ihrem Stein hervorzukriechen.
• Nächstenliebe: Trau, schau wem.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns