Kritik zu Paterson
Das Leben als ruhiger Fluss: Mit seiner verschrobenen Ode an die Monotonie des Alltags und Adam Driver in der Hauptrolle läuft Jim Jarmusch mal wieder zu Höchstform auf
An einem der acht Morgen, die alle mit dem gleichen zärtlichen Gottesblick auf das erwachende Paar beginnen, erzählt Patersons Freundin Laura (Golshifteh Farahani), was sie geträumt hat. Paterson sei irgendwo im Nahen Osten auf einem silbernen Elefanten durch die Stadt geritten, schwärmt sie. Paterson (Adam Driver) hört interessiert zu, denkt kurz nach und fragt, ob es im Nahen Osten überhaupt Elefanten gebe.
Treffender lässt sich das von freundlicher Zugewandtheit und sehr unterschiedlichen Mentalitäten geprägte Verhältnis des Duos kaum beschreiben. Während Laura für die Exzentrik zuständig ist, steht Paterson für Genügsamkeit, und während sie zum Abheben neigt, sorgt er für die nötige Gravitation. Eine schöne Balance also – und der Stoff, aus dem echte, ganz alltägliche Beziehungen sind. Genau darum geht es in »Paterson«, dem zwölften Langfilm von Indie-Ikone Jim Jarmusch: um den ganz gewöhnlichen Alltag, der hier so unspektakulär, gleichförmig und ereignislos verläuft wie nur selten im Kino. Jarmusch zelebriert die Poesie der kleinen Dinge, die Nuancen des Immergleichen; noch nie war er stilistisch so nah an den Arbeiten des lakonischen Finnen Aki Kaurismäki.
Mit seinem Protagonisten spielt Jarmusch ein doppelt kalauerndes Nomen-est-Omen: Paterson heißt genau wie der Ort, in dem er lebt und aus dem er nie weg gewesen ist. Sein silberner Elefant ist in Wirklichkeit ein weißer Linienbus, den er mit stoischem Gleichmut durch die Straßen befördert. Und er ist, wie sein Darsteller, ein »Driver«. Der Film zeichnet diesen Paterson als einen Mann, der wie einst Bill Murray in »Und täglich grüßt das Murmeltier« in einer Zeitschleife gefangen ist – mit dem gravierenden Unterschied, dass Paterson das nicht als Falle empfindet. Er macht keinerlei Anstalten, etwas an seiner Situation zu ändern, ist zufrieden mit der Monotonie seiner Tage, die alle mit einer Schüssel Zerealien beginnen und mit einem Glas Bier in der Bar um die Ecke enden. Dazwischen liegen der Weg zur Arbeit, das Busfahren, ein paar kontemplative Minuten, in denen er sich als Hobbydichter betätigt (sein Idol ist William Carlos Williams, der über Paterson einen Poem-Zyklus geschrieben hat), und schließlich die abendlichen Gespräche mit Laura, die einen Schwarz-Weiß-Tick hat und abwechselnd von einer Karriere als Country-Sängerin und Cupcake-Bäckerin fantasiert.
Jarmusch strukturiert »Paterson« wie einen Wochenkalender. Spätestens am Mittwoch ahnen wir, dass auch der Rest der Woche kaum Abwechslung ins Leben des Antihelden bringen wird. Denn obwohl ein paar Konflikte angedeutet werden – ein Liebesdrama unter den Gästen der Stammkneipe, Stress mit einem Arbeitskollegen und nicht zuletzt die Möglichkeit, jemand könne Patersons putzige englische Bulldogge stehlen –, verläuft sich jede Irritation im Sande. Nein, es geht hier um das Bemerkenswerte am vermeintlich Unbemerkenswerten, um die grandiosen Qualitäten einer Streichholzschachtel zum Beispiel, die Paterson in einem seiner Gedichte feiert. Wir erleben quasi in Echtzeit, wie seine Poeme entstehen, wie sie Tag für Tag wachsen und gedeihen. Für Paterson sind sie im besten Sinne Selbstzweck: Er denkt gar nicht daran, sie zu veröffentlichen, so sehr Laura ihn auch dazu ermuntert. Paterson ist die personifizierte Ehrgeizlosigkeit.
Damit steht er seinem Regisseur ziemlich nahe, denn auch Jarmusch hat offensichtlich den Zustand größtmöglicher Entspanntheit erreicht, einen Punkt jedenfalls, an dem er nichts mehr zu beweisen hat. Mit schöner Lässigkeit und ohne stilistische Mätzchen lässt er seine Nicht-Story runterschnurren, beharrt wie Paterson, der kein Smartphone besitzen will, auf dem Altmodischen und Analogen. Das einzige Manko dieses hübschen Kleinods ist die Beziehung im Zentrum: So berührend es auch sein mag, zwei Liebende in einer gänzlich unaufgeregten Lebensphase zu erleben, so schmerzhaft werden auch die buchstäblichen Leerstellen im Verhältnis von Paterson und Laura deutlich. Die Innigkeit der beiden wirkt behauptet, denn letztlich leben sie komplett nebeneinander her. Oder sollte es am Ende genügen, einmal in der Woche ins Kino zu gehen, und sei es in einen alten Schwarz-Weiß-Film?
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