Kritik zu Happy-Go-Lucky

© Tobis

Der als pessimistisch geltende Mike Leigh hat einen überraschend heiteren Film gedreht und mit Sally Hawkins einen neuen britischen Leinwandstar entdeckt

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Wenn Poppy (Sally Hawkins) ins Bild radelt – das tut sie gleich in der ersten Einstellung –, ist die Welt nicht mehr wiederzuerkennen. Die unverwüstliche Optimistin ist einfach unwiderstehlich glücklich und unentwegt bemüht, das Leben ihrer Mitmenschen ebenfalls aufzuhellen. Auch der erste Schicksalsschlag – das Fahrrad wird ihr vor der Nase weggeklaut – kann sie nicht umstimmen. Sie wendet den Verlust auf charakteristische Weise zum Positiven: ein Grund mehr, endlich Fahrstunden zu nehmen! Die dreißigjährige Grundschullehrerin mischt sich – ungefragt – einfach überall ein, ihr Antrieb ist jedoch nicht ein exzentrischer Charakter oder schieres Selbstdarstellungsbedürfnis, sondern so etwas wie soziale Anteilnahme. Poppy will überall mitmischen, weil sie überall helfen will, aber das kann auch auf die Nerven gehen. Keine Frage.

Aber »Happy-Go-Lucky« wäre kein Mike-Leigh-Film, wenn es beim munteren Geschnatter einer rundum zufriedenen, stets etwas zu bunt gekleideten Zeitgenossin bliebe, die seit zehn Jahren mit ihrer Freundin Zoe (Alexis Zegerman) eine Wohnung teilt und in feuchtfröhlicher Frauenrunde ihre Feierabende verbringt. Es dauert nicht lange, bis zwei extreme Charaktere aufeinanderprallen: die tolerante Menschenkennerin und der verbiesterte Menschenfeind in Gestalt ihres Fahrlehrers Scott (Eddie Marsan). Sie hemmungslos offen und sozial, er gehemmt und einsam, obendrein ein Rassist. Zwei Seiten einer Medaille. Hinzu kommt, dass sich Scott mit seiner Fahrlehrerübung, dem Dreieck »Enraha« eine Hilfskonstruktion zurechtgebastelt hat, mit der er nicht nur die Bedienung eines Autos für seine Schüler anschaulich macht, sondern anscheinend das ganze unberechenbare Leben in ein Korsett zu zwingen versucht. »Enraha« ist Scotts Strohhalmphilosophie.

Poppys Schulalltag und die wöchentlichen Fahrstunden mit dem gebetsmühlenartigen »Enraha« sind so geschickt auf die Filmzeit verteilt, dass sie den Film und mit ihm das merkwürdige »Lehrer«-Paar langsam in die Eskalation treiben. Trotzdem bleibt Poppy stets im Mittelpunkt, es ist ein Porträt, keine Story, es geht nur um sie, darum, wie sie das Leben meistert, um ihre verrückten Einfälle, ob sie nun Hühnerfilets in ihren BH stopft oder Vogelmasken für ihre Kinder bastelt, um zum großen Flug im Klassenzimmer abzuheben. Und es geht um ihre Beziehungen mit den anderen. Wie sie sich um das Problemkind Nick sorgt, das bei jeder Gelegenheit auf seine Mitschüler losgeht, oder wie sie sich bei einem nächtlichen Spaziergang auf einen wildfremden, von der Welt vergessenen Penner einlässt, der schon lange kein Gespräch mehr geführt hat. Poppy weiß, wie's geht.

Diese Poppy ist für sich schon eine Art Gesamtkunstwerk, das personifizierte Glück, das sich aus vielen angenehmen Eigenschaften und aus der Kompromisslosigkeit gegenüber allem, was Konvention heißt, speist, bei aller Feinfühligkeit gegenüber denen, die mit sich hadern, den Normalen. Eine charmantere Verbindung von Anarchie und Caritas hat man selten gesehen. »Auf unser Leben und alle, die darin ertrinken!« An Poppys Trinkspruch ist nichts Zynisches. Ist sie eine Märchenfee oder die Summe aller positiven Eigenschaften, die sich nur ein Autor ausdenken kann? Für Mike Leigh ist es ein »Liebesbrief an die Jugend und an Poppy«.

Und obwohl man vergeblich nach dem Zeigefinger suchen wird, den Mike Leigh so verabscheut, die Konzeption dieser Figur mit ihrer Anständigkeit, Herzlichkeit und ihrem Idealismus hat durchaus parabelhafte Züge. Poppy (gespielt von einer furios-quecksilbrigen Sally Hawkins, die dafür bei der Berlinale bejubelt und mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde) ist reinen Herzens wie die Engelmacherin »Vera Drake«, die ohne Hintergedanken und ohne Lohn nur den jungen Frauen in Not aushelfen wollte. Man darf sich durch die leuchtenden Farben und die schrille Kostümierung nicht täuschen lassen, auch nicht durch Leighs Hyperrealismus, mit dem er den biederen Anklang der Sozialreportage vermeidet, oder durch das Tempo, das der Screwballkomödie abgeschaut scheint. Die oft penetrant wirkende Sally blättert erst nach und nach ihre Zwiebelschalen auf und lässt uns in die Tiefe schauen.

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