Hör- und Lesekino

Graham Greene

Selbst die besten Suchmaschinen führen den Benutzer gern in die Irre. Das gehört zum Geschäftstmodell. Erst einmal will mit Werbung Geld verdient werden, dann erst folgen die wirklich nützlichen Informationen. Bisweilen lohnt es jedoch, den Irrwegen zu folgen. Als ich heute Morgen »Der ditte Mann« eingab, erschien der Filmtitel mit dem Zusatz "Berlin". Das machte mich stutzig. Sollte in der Stadt ein Remake des Klassikers entstehen? Oder vielleicht eine Fortsetzung?

Immerhin hatten Graham Greene und Carol Reed für ihren danach geplanten Film Recherchen über Flüchtlinge in Nachkriegsdeutschland angestellt und sich zu diesem Zweck für einige Wochen in einem Hotel in Goslar einquartiert. Diese Geschichte sollte an der innerdeutschen Grenze im Harz spielen, kam aber nie über das Stadium eines 40seitigen Treatments mit dem Titel »No man's land« hinaus. (Andererseits wesen alte Stoffe von Greene ja zuweilen als Untote weiter und können zu spätem Nachleben erweckt werden, man denke an »The Tenth Man«). Reed hat später dann einen sehr unterschätzten Film in Berlin gedreht, »The Man between« (Gefährlicher Urlaub); leider ohne Greene, dafür aber mit dem wunderbaren James Mason und der ebenso wunderbaren Claire Bloom.

Nein, mit diesem Berliner »Dritten Mann« hat es eine andere Bewandtnis, wie ich nach einem Mausklick feststellen konnte: Es handelt sich um ein Restaurant am Kollwitz-Platz, in dem sich nach Selbstauskunft "exquisite österreichische Küche in gediegenem Ambiente" genießen lässt. Von seiner Existenz wusste ich bis eben nichts, obwohl es wohl schon vor acht Jahren eröffnet wurde. Als Berliner macht man, schon aus Snobismus, gern einen Bogen um allzu touristisch besetzte Zonen. Mir scheint, das Restaurant liegt an der selben Stelle wie ein ehemals vorzüglicher Elsässer, dessen Küche sich allerdings spürbar verschlechterte, nachdem Bill Cinton dort während eines Staatsbesuches einkehrte. Auch »Zum Dritten Mann« kann mit berühmten Gästen aufwarten: Pedro Almodóvar und Penelope Cruz haben sich dort nach der Premiere von »Zerrissene Umarmungen« bekochen lassen. Die Speisenkarte macht einen guten, wenngleich weltoffenen - Caesar Salad gehört meines Wissens nicht unbedingt zu den Spezialitäten der Wiener Küche – Eindruck; vielleicht komme ich an dieser Stelle mal darauf zurück. Greene selbst lernte bei seinen Recherchen im zerbombten Wien die restaurativen Kräfte der österreichischen Küche vorerst übrigens nicht schätzen. Als er drei Monate später zusammen mit seinem Regisseur dorthin zurückkehrte, bot sich ihm allerdings ein ganz anderes Bild: Viele Häuserruinen waren unterdessen fortgeräumt worden, und in den Hotels und Gaststätten wurden bereits wieder anständigere Mahlzeiten serviert.

Eingegeben habe ich den Filmtitel aus aktuellem Anlass (und um einige Angaben zu verifizieren, doch dazu komme ich später). Heute morgen begann im NDR eine Lesung von Greenes gleichnamiger Erzählung, die quasi sein erstes Treatment für den Film war. Den Termin hatte ich mir schon vor Monaten notiert. Hanns Zischler liest den Text, inklusive Greenes Vorwort. Dessen Auftaktsatz »'Der Dritte Mann'« wurde nicht geschrieben, um gelesen, sondern um gesehen zu werden." straft er Lügen: Es ist ein großes Vergnügen, ihm zuzuhören. Ein-, zweimal hätte die Regie ruhig seine Aussprache englischer Namen korrigieren können, aber dafür spricht er die Dialoge der einheimischen Figuren in prächtigstem Wienerisch. In der zweiten Folge kommt seine Lust, jeder Figur einen eigenen Tonfall zu geben, noch stärker zur Geltung. Ich bin mal gespannt, wie maliziös Harry Lime wohl aus seinem Munde klingen wird.

Den berühmten Kuckucks-Uhr-Dialog in der Praterszene wird er freilich nicht zu Gehör bringen, denn den erfand Orson Welles beim Dreh. Auch wenn Sie den Film kennen, lohnt es sich, noch bis einschließlich 8. April werktags um 8:30 Uhr einzuschalten. http://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/am_morgen_vorgelesen/Hanns-Zischler-liest-Der-dritte-Mann,greene154.html

Der Vergleich zwischen Entwürfen ist ja stets interessant: welche Umwege nötig sind, was verworfen werden kann und was verloren geht, wenn ein Stoff seine endgültige Form annimmt. In einigen, durchaus wesentlichen Punkten weicht der Film vom Treatment ab. Hier fungiert Colonel Calloway als Erzähler (im Film spielt ihn Trevor Howard) und Holly Martins heißt mit Vornamen noch Rollo (was Joseph Cotten zu lächerlich fand) und ist etwas anders gezeichnet. Ferner fehlt die Episode der Entführung Annas in die sowjetisch besetzte Zone (was dem amerikanischen Co-Produzenten Selznick ziemlich gegen den Strich ging, der die Russen gern als Schurken gesehen hätte und sich als guter Patriot darüber beschwerte, dass die USA als Besatzungsmacht kaum vorkommen.) Apropos Besatzungsmächte: Als ich heute früh meine vergilbte rororo-Ausgabe der Erzählung aus dem Regal holte, um mitzulesen, erlebte ich einen sanften Kulturschock. Zischler liest eine neue Übersetzung, in der beispielsweise aus den Besatzungs- nun Siegermächte geworden sind. Diese Sprachregelung mochte man deutschsprachigen Lesern damals wohl noch nicht zumuten. Die Übersetzung von Nikolas Stingl, der sonst Cormac MacCarthy und Thomas Pynchon ins Deutsche überträgt, stellt weitgehend, aber nicht durchweg eine Verbesserung dar. Weshalb die Kärntnerstraße nicht mehr eine "elegante Geschäftsstraße" sein darf, sondern nun eine "schicke Einkaufsstraße" werden musste, ist mir schleierhaft. Und in die zweite Hälfte des oben zitierten Auftaktes hat Stingl ein rätselhaftes "nur" eingebaut. Dass Greene und Reed bei der Drehbucharbeit "etliche Kilometer Teppich" zurücklegten, ist hingegen weit anschaulicher als Fritz Burgers Übersetzung. Die neue Fassung zielt nicht vollends auf eine Aktualisierung des Stils (aus "Charakter" wird einmal "Gepräge"), klingt aber oft lebendiger. Den "geduldigen Schnee" bei der vorgeblichen Beerdigung Harry Limes zu Beginn finde ich wunderbar. Greenes Satzbau sperrt sich auch in der Neuübersetzung bisweilen. Leicht zu sprechen ist er nicht, manchmal hört man heraus, wie geduldig Zischler mit ihm ringt. Aber da ich das englische Original nicht kenne, beende ich diese kleine Stilanalyse lieber und wende mich nun den nützlichen Angaben zu, die ich ankündigte: Falls Sie die neun Sendungen verpassen sollten (sie sind jeweils nur 24 Stunden in der Mediathek nachzuhören), können Sie sich mit dem Kauf des Hörbuches entschädigen. Es ist im Audio Verlag erschienen. Falls Sie die Papierform vorziehen, greifen sie zur Neuübersetzung, die vom Paul Zsolnay Verlag aufgelegt wurde.

 

PS: Gerade korrigierte mich eine aufmerksame Leserin: Zum Dritten Mann liegt in der Kollwitzstraße, nicht am Kollwitzplatz. Den präsidial geschätzten Elsässer gibt es immer noch, er heißt Guglhof, und die Küche ist anscheinend wieder besser geworden.

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