Kritik zu Folge meiner Stimme
Nach seiner Uraufführung in der Kindersektion der Berlinale vor zwei Jahren sammmelte Hüseyin Karabeys kunstvoller und berührender Film über ein
kurdisches Großmutter-Enkelin-Paar von Brüssel bis Anchorage Preise ein
In manchen Gegenden der Erde versteht man leicht, wie Menschen zu Freiheitskämpfern für ihre Heimat werden. Diese weite karge Landschaft zum Beispiel zwischen wolkenumwehten Berggipfeln, grünen Matten und dem großen Vansee, der verlockend grün unten in der Ferne glitzert. So ärmlich es auch ist, möchte man hier gleich für immer bleiben. Doch immer wieder stehen plötzlich martialisch bewaffnete Soldaten mitten in der Aussicht und machen mit schikanösen Kontrollaktionen unmissverständlich klar, dass dieses hier ein Kriegsgebiet ist und die Menschen, die hier leben, wie es einer im Film sagt, »Sklaven auf ihrem eigenen Land« sind.
Das Land ist Kurdistan. Und die Personen, denen der Film des in Istanbul geborenen Regisseurs Hüseyin Karabey (»My Marlon and Brando«) Leben gibt, sind einfache Dörfler. Unter Polizeidruck stehen sie trotzdem, auch daheim. Gleich zu Anfang, nach einem rahmenden Vorspiel, erzählt eine Parallelmontage davon: Während im Haus Großmutter Berfe ihre Enkelin mit einem Märchen vom Fuchs, der seinen Schwanz verlor, zu Bett bringt, fährt draußen im Dunkeln eine Militärkarawane auf, aus der bewaffnete Soldaten ins Dorf ausströmen. Einige klopfen auch an das Haus von Berfe und ihrem Sohn Temo: Und während drinnen die Wäschetruhen auseinandergenommen werden, wird Temo mit den anderen Männern des Dorfes auf der nächtlichen Straße zusammengetrieben und dann unter einem Vorwand abtransportiert: Angeblich seien irgendwo Waffen versteckt. Und die Gefangenen würden erst wieder freikommen, wenn diese abgegeben werden.
Es war das Ende der fröhlichen Zeiten, sagt die Erzählerstimme, die die Geschichte mit sparsamen Sentenzen aus dem Off begleitet. Das stimmt auch für die alte Berfe und ihre Enkelin Jiyan, die gleich auf eigene Faust loszieht, um im Dorf Spielzeugpistolen für die Befreiung des Vaters einzusammeln. Denn wirkliche Waffen gibt es im Haus nicht, deshalb ist auch nichts zum Abliefern da. Und die alte Flinte des Großvaters, mit der Berfe in der Not ihr Glück versucht, macht die Soldaten nur noch unwirscher. Deshalb macht sich die Großmutter mit ihrer Enkelin bald per Fuß und Bus auf eine beschwerliche Reise, um irgendwo in der weitläufigen Verwandt- und Bekanntschaft doch noch eine Pistole oder ein Gewehr aufzutreiben. Und wir sind in einem Roadmovie über die stark ausgedünnten und um ihr Überleben kämpfenden Reste der kurdischen Gemeinschaft in der Osttürkei.
Dieses erzählt Karabey in »Folge meiner Stimme« mit lakonischer Poesie, wie es im Kino der Region Tradition ist. Zusätzlich baut er einen kunstvoll geflochtenen erzählerischen Rahmen mit einer großen Dorfzusammenkunft und drei blinden Geschichtenerzählern, die – wie einige musikalische Einlagen – raffiniert spielerisch in die Filmhandlung eingeflochten sind. So bekommt die Geschichte um das kämpferische Frauenpaar den Charakter einer kollektiven Erzählung.
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