Interview mit dem Golden Globes-Preisträger Alejandro González Iñárritu
Golden Globes-Preisträger Alejandro González Iñárritu über seinen Film »The Revenant – Der Rückkehrer«
Noch kein Jahr ist es her, dass der Mexikaner Alejandro González Iñárritu für seinen Film »Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)«“ mit dem Oscar ausgezeichnet, nun kommt bereits der Nachfolger »The Revenant – Der Rückkehrer« in die Kinos, dessen Dreharbeiten damals längst begonnen hatten. Und was für Dreharbeiten! Weil seine lose auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte 1823 in der von weißen Siedlern noch vollkommen unentschlossenen Wildnis Nordamerikas spielt, wollte Iñárritu auf die Kraft der Natur statt auf die Magie von Computerbildern setzen und begab sich mit seinem Team in die hintersten, mit Fahrzeugen nicht mehr zu erreichenden Winkel kanadischer Wälder. Die Bedingungen, so geben Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio und andere Beteiligte zu Protokoll, waren unerbittlich: der Winter dort war kalt und nass, und weil Kameramann Emmanuel Lubezki statt auf Scheinwerfer ausschließlich auf natürliches Licht setzte, konnte nur wenige Stunden am Tag gedreht werden. Ganz zu schweigen davon, dass die Dreharbeiten am Ende fast 50% teurer waren als geplant und sich derart in die Länge zogen, dass für die letzten Monate in den dann noch schneebedeckten Süden Argentiniens umgezogen werden musste. Erst im Sommer 2015 war »The Revenant« im Kasten, den Herbst verbrachte Wahl-Amerikaner Iñárritu im Schneideraum. Aber es hat sich gelohnt: Drei Preise hat »The Revenant – Der Rückkehrer« bei den Golden Globes eingeheimst. Patrick Heidmann hat den vollkommen erschöpften Regisseur zum Interview getroffen.
Herr Iñárritu, der Plot Ihres neuen Films »The Revenant – Der Rückkehrer« ist eine klassische Rache-Geschichte. Was unterscheidet ihn von ähnlichen Filmen?
Oft durchzieht Rache-Geschichten die Aussicht, dass den Rächer nach vollzogener Tat ein glückliches Leben wie im Märchen erwartet. Daran hatte ich schon immer meine Zweifel, denn ich halte Rachsucht für eine ungesunde Emotion. Selbst wenn sie ohne Frage ein entscheidender Antrieb sein kann, nicht zuletzt wenn es um das eigene Überleben geht. Mit »The Revenant« wollte ich zumindest den Versuch unternehmen, danach zu fragen, was nach der Rache kommt? Wenn die Rache der einzige Lebensmittelpunkt ist, durch was wird sie dann ersetzt? Denn jeder weiß, dass selbst Erfolg in einer solchen Sache den zuvor erlittenen Verlust oder die Verletzung nicht ungeschehen macht. Dazu passt das chinesische Sprichwort: "Bevor du dich auf einen Weg der Rache begibst, grabe zwei Gräber. Eines für deinen Feind und eines für dich selbst."
Ein weiterer Unterschied ist natürlich die visuelle Kraft Ihres Films, für die Sie gnadenlose Bedingungen während der langen Dreharbeiten in Kauf nahmen. Wie schlimm war die Situation wirklich?
Sehr, sehr schlimm, das können Sie mir glauben. Jeder einzelne Tag, jede Szene und jedes noch so kleine Detail dieses Films war eine riesige Herausforderung und unglaublich schwer zu meistern. Was ich mir vorgenommen hatte, war ebenso außergewöhnlich wie kompliziert und sowohl an mich selbst als auch an sämtliche Mitstreiter stellte ich höchste Ansprüche. Doch wenn ich mir jetzt das Endergebnis angucke, muss ich aller Erfahrungen zum Trotz feststellen: ich würde alles genau so wieder machen!
Beschreiben Sie doch mal den schlimmsten Tag am Set?
Das kann ich nicht, denn dann müsste ich Ihnen die kompletten Dreharbeiten beschreiben. Es fühlte sich mitunter so an, wie es wohl in den Anfangstagen des Kinos gewesen sein muss, als Regisseure und ihre Teams sich noch an reale Orte begaben, um reale Dinge zu filmen... Nur ist das Problem, wenn man sich in die Natur begibt: sie verhandelt nicht mit einem. Wenn man da überleben will, muss man aufhören, Widerstand zu leisten. Ein Film wie dieser steht immer kurz vorm Scheitern, denn alles geht schief. Wenn wir einen Tag ohne Schnee brauchten, zogen plötzlich Stürme auf, und es war 40 Grad unter Null. Mitunter wurden alle Sets zerstört, wenn uns wieder mal ein Chinook heimsuchte. Das sind warme Fallwinde, die in den Rocky Mountains innerhalb weniger Stunden Schnee und Eis komplett schmelzen lassen, so dass plötzlich unsere ganze Szenerie geflutet war und Schauspieler von herabfallenden Ästen getroffen wurden. All solche Dinge waren bei uns an der Tagesordnung.
Für Sie als anerkannt detailversessenen Perfektionisten muss das die Qual gewesen sein. Oder haben Sie sich diesbezüglich geändert?
Oh nein, wo denken Sie hin? Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel dafür, dass ich selbst bei vermeintlich einfachen Szenen jedes noch so kleine Detail im Blick habe. Es gibt zum Beispiel eine, in der Leonardo DiCaprio in den schneebedeckten Bergen einen toten Kameraden findet, und ein Pferd seinen Weg kreuzt. Bei minus 25 Grad auf 2500 Metern Höhe ein Pferd zu choreografieren, ist eigentlich schon Herausforderung genug. Aber ich wollte in dieser Szene auch noch eine Lawine haben. Die mussten wir mit Hilfe eines Helikopters und Sprengsätzen auslösen, wofür wir natürlich nur eine Chance hatten. Im Kino sieht das nun natürlich ganz natürlich und selbstverständlich aus. Aber logistisch war die Szene ein Albtraum.
Es war außerdem zu lesen, Sie hätten Ameisen ans Set nach Kanada einfliegen lassen, weil es dort im Schnee keine gab. Und zwar 1. Klasse! Wie reagieren Ihre Produzenten, wenn Sie so etwas hören?
Ach wissen Sie, der Schlüssel für eine gute Zusammenarbeit ist immer gegenseitiges Vertrauen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass meine Produzenten die Besten in dem sind, was sie tun, und im Gegenzug vertrauen sie auch mir in meiner Vision voll und ganz. Mit meinen Schauspielern ist es genauso. Und die Ameisen sind ein gutes Beispiel für das, was wir mit »The Revenant« erreichen wollten: einen Film von epischen Ausmaßen und mit spektakulären Landschaften, aber eben auch intimen, kleinen Situationen und winzigen Organismen, die den Inbegriff der Natur darstellen. Diese Balance war für mich essentiell – und für manche dieser winzigen Momente verbrachten mein Kameramann und ich tagelang mit Warten, bis wir wirklich das eine Bild einfingen, das unserer Vorstellung von Schönheit entsprach.
Wie hielten Sie bei all diesen Strapazen Ihr Team bei Laune?
Leicht war das nicht, das können Sie mir glauben. Der Dreh war eine Zumutung für uns alle. Aber zum Glück bestand zwischen mir und den Schauspielern und überhaupt allen Mitstreitern ein echtes Gefühl von Kameradschaft. Und zum Glück habe ich viel Sinn für Humor. Wann immer es Situationen gab, in denen wir lachen konnten, haben wir das herzhaft getan. Wirklich viele waren es allerdings wirklich nicht.
Hatten Sie bei all dem nie das Gefühl, zu weit gegangen zu sein?
Nein, ich finde man kann gar nicht weit genug gehen. Im Gegenteil bedauere ich es dass dem Kino dieser Tage die Ambition abgeht. Selbst die guten Filme bewegen sich eigentlich immer auf sicherem Terrain, verlaufen in erwartbaren Spuren und provozieren nichts und niemanden. Viele Leute gehen heute ins Kino wie sie zu McDonald’s gehen: sie wollen den immer gleichen Cheeseburger mit dem immer gleichen Ketchup, bloß nichts, was sie nicht kennen. Deswegen ist unsere Branche viel zu brav und höflich geworden. Leider, denn ich liebe es, wenn Filme versuchen, wirklich etwas zu erreichen. Und selbst wenn sie in ihrem Ehrgeiz scheitern, ist das immer noch besser als erst gar nichts zu versuchen.
Und was kommt nach einem Mammutprojekt wie »The Revenant«?
Im Moment will ich mich eigentlich nur wie ein Bär in eine Höhle zurückziehen und ganz viel schlafen. Gerne sechs Monate am Stück. Und ich habe unglaublich viel nachzuholen, denn in den letzten zwei Jahren hatte ich kaum Zeit, irgendein Buch zu lesen oder Filme zu gucken. Ich merke, dass mein normales Leben vor der Tür steht und dringend um Einlass bittet. Also werde ich es wohl für die nächsten ein oder zwei Jahre mal wieder hereinlassen.
Vermutlich wird Ihr nächster Film jedenfalls in geschlossenen Räumen spielen, oder?
Das will ich hoffen. Auf jeden Fall weiß ich mit Sicherheit, dass ich nie wieder einen Film wie »The Revenant« drehen werde.
Also gibt’s keine Fortsetzung?
Haha... Ich mag vielleicht verrückt sein. Aber ich bin weder dumm noch lebensmüde!
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