Kritik zu Lulu & Jimi
Jeder richtige Filmemacher muss einmal einen Film drehen über eine Lulu oder Lola. Einen Film über die märchenhafte, soziale Grenzen sprengende Macht der Liebe. Oskar Roehler hat das jetzt getan
Es beginnt auf einem Rummelplatz am Rande der Stadt. Dort, wo sich das Verbotene und Verdrängte tummelt, wo sich spielerisch geheime Sehnsüchte offenbaren. Dort jobbt der farbige Ex-GI Jimi (der Brite Ray Fearon) als Schaustellergehilfe. Alle Mädchen der nahe gelegenen Kleinstadt schwärmen für den schönen Jungen. Aber nur eine wird sich trauen, mit dem strahlenden Rock'n'Roll-Othello vom Autoscooter ein Liebesverhältnis gegen alle Chance einzugehen. Es ist Lulu (die Französin Jennifer Decker), ein Schweinfurter Girl aus ehemals reichem Hause, das ganz natürlich aufbegehrt gegen die monströse Engstirnigkeit der deutschen fünfziger Jahre.
Der Film spielt 1959, in Oskar Roehlers Geburtsjahr. Vielleicht kann man 1959 auch als das erste markante Jahr einer kleinen popkulturellen Umwälzung sehen. Im Kino wenigstens geschahen damals revolutionäre Dinge: In Frankreich kam Godards »Ausser Atem« heraus, und in England entstand Michael Powells verwegener »Peeping Tom«.
Für die atmosphärisch-märchenhafte Darstellung der Zeit hat Roehler Barry Giffords Geschichte von »Sailor und Lula«, die auch die Vorlage zu David Lynchs »Wild at Heart« lieferte, frei interpretiert. Roehlers Film mag auch eine Hommage an Lynchs surrealistischen Stil sein, er ist vor allem aber eine gelungene Adaption von Giffords Lovestory auf die deutschen Verhältnisse der Fünfziger.
Der Film changiert zwischen großem Melo und schmutzigem Rock'n'Roll-B-Picture: wenn Lulu ihren farbigen Lover auf eine Sommerparty mit arroganten Fabrikantenkindern mitbringt. Am auffälligsten schmollt Bastian Pastewka als von Lulu zurückgewiesener Millionärssohn mit besonderem Trashfaktor. Sogleich schlägt Lulu und Jimi offener, fieser Rassismus entgegen, den Roehler besonders spürbar macht durch eine filmische Verspieltheit, die an Verfremdung grenzt. Es gab in den frühen Sechzigern einen Bestseller von Willi Heinrich über GIs und Rassismus mit dem bezeichnenden Titel »Gottes zweite Garnitur«; möglicherweise hat Roehler ihn gelesen.
Lulu nun stammt aus einem im Verfall begriffenen großbürgerlichen Haus. Eine bizarre BRD-Dekadenz stellt ihre Familie dar; das Ambiente, in dem sich Lulu aufhält, gleicht einem Sunset Boulevard mit Nierentisch und Adenauer-Mercedes. Wie in fast allen Roehler-Filmen besteht die Familie aus einer monströsen, durchsetzungsfähigen Mutter und einem schwachen Vater. Die Mutter wird gespielt von Katrin Sass wie eine Swanson oder Crawford des Wirtschaftswunders: als Übermutter, die man zu hassen liebt. Denkt man noch an »Good Bye Lenin!«, dann hat Sass alle schrägen Facetten eines deutschen Matriarchats verkörpert. Den Vater gibt Rolf Zacher; als gebrochener Mann spukt er durch den Garten der Familienvilla. Einst ein sexueller Rebell mit Soul im Blut, ist er grausam domestiziert worden. Zu Recht zeigt uns Roehler den unverwüstlichen Zacher als eine Art Ur-Daddy- Cool eines jungen deutschen Kinos. Die Rolle ist eine Hommage an Zacher, der seit über vierzig Jahren einer der eigenwilligsten Schauspieler des deutschen Films ist.
Überhaupt: in »Lulu & Jimi« erweist Roehler deutschen Charakterdarstellern seine Reverenz, die es durchaus aufnehmen können mit den Harry Dean Stantons dieser Kinowelt. Manchmal läuft der Film sogar Gefahr, dass die supporting actors den Hauptakteuren die Schau stehlen. So spielt Udo Kier den zwielichtigen Chauffeur von Lulus Familie; Hans- Michael Rehberg lässt als verrückter Psychiater von Oppeln gar die Tradition der Doktoren Caligari und Mabuse wiederaufleben.
Eine Liebe auf der Flucht zelebrieren letzten Endes Lulu und Jimi, eine Amour fou, welche die inhumane Gestrigkeit von Lulus Familie überwindet. Ein Trip ist das, der fabelhaft über den Ozean führt. Ein Trip, der Tod und Tragödie streift. Und eine Rock'n'Roll- Lektion in Sachen Freiheit und Liebe jenseits von gutem Geschmack. Roehler geht es auch nicht nur um Authentizität. Man verzeiht ihm sogar einige schlampige Ausstattungsdetails wie ein Mercedes-Cabrio, das es erst in den Sechzigern gab. Weil er den Geist einer Ära und seine Überwindung wie in einem Traum beschreibt. Als Geschichte einer deutschen Familie und einer Pop-Revolte würde ich Roehlers Film-Tattoo jederzeit gegen die zentnerschweren Epen über die Buddenbrooks und Baader-Meinhof tauschen.
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