Nachruf: Anouk Aimée

Glamour mit Realitätsnähe
Anouk Aimée in »Die schönsten Jahre eines Lebens« (2019). © Wild Bunch

Anouk Aimée in »Die schönsten Jahre eines Lebens« (2019). © Wild Bunch

27. 4. 1932 – 18. 6. 2024

Anouk Aimée zeigte jungen Mädchen, die sich in den 1960er Jahren in Filme von Jacques Demy, Claude Lelouch und Federico Fellini einschlichen, wie eindrucksvoll ein schwarzer Eyeliner-Schatten den Blick einer Frau vertiefen kann. Eine Aura rätselhafter Nonchalance umgab die elegante Brünette von zierlicher Statur, die 1932 in Paris geboren und unmittelbar nach Kriegsende mit dreizehn für den Film entdeckt wurde. Nach vielen wenig bemerkenswerten Filmen (darunter zwei deutschen) begann sie schließlich eine große Karriere als Star der Nouvelle Vague und darüber hinaus im italienischen und amerikanischen Kino. 

Als Nicole Françoise Dreyfus in eine französisch-jüdische Schauspielerfamilie hineingeboren, wurde sie von den Eltern während der NS-Besatzung Frankreichs unter dem Namen Durand zu einer Patenfamilie aufs Land geschickt, wo sie der Deportation entging und ihre Kindheit unbeschwert verbrachte. Die Legende sagt, dass die blutjunge Debütantin sich selbst erfand, als der Regisseur Henri Calef sie für den Film »La Maison Sous La Mer« (1946) entdeckte und sie ihren ersten Rollennamen Anouk ­adoptierte. Wenig später ergänzte der berühmte Lyriker Jacques Prévert ihr Pseudonym, indem er sie beim Besuch am Set eines nie vollendeten Films von Marcel Carné Aimée (Geliebte) nannte. 

Geschichten über solche prominenten Förderer im Rive-Gauche-Milieu von Paris erzählte Anouk Aimée stets freimütig; ihr Privatleben verbarg sie dagegen diskret, darunter die Ehe mit dem griechisch-französischen Regisseur Nikos Papatakis, mit dem sie eine Tochter hat, und später ihre sieben Ehejahre mit dem britischen Schauspieler Albert Finney. 

Geheimnisvoll, sanft und anmutig die Seele berührend, solche Zuschreibungen prägen die Porträts von Anouk Aimée. Ihre Leinwandfiguren waren reinste Männerfantasien, etwa die einsame Nachtschwärmerin Maddalena in Fellinis »La Dolce Vita« (1960), die Varieté-Tänzerin »Lola« in dem gleichnamigen Film von Jacques Demy (1961), die betrogene Gattin Luisa in Fellinis »Achteinhalb« (1963), das rätselhafte Fotomodell für Erotisches (noch einmal »Lola«, acht Jahre später in Los Angeles) in Demys unterschätztem Roadmovie »Model Shop« (1969), Omar Sharifs Ehefrau Carla unter Prostitutionsverdacht in Sidney Lumets Kitschpsychodrama »The Appointment« (1969) oder die beste Freundin der Ex-Gefängnisinsassin Catherine Deneuve in Claude Lelouchs »Ein Hauch von Zärtlichkeit« (1976). Ihren größten Erfolg feierte Anouk Aimée als Anne, das tragisch verwitwete Scriptgirl, das in Lelouchs Oscar- und Goldene-Palme-prämiertem Klassiker »Ein Mann und eine Frau« (1966) die große Liebe in Rennfahrer Jean-Louis Trintignant findet.

Alle Anouk-Aimée-Frauen behaupteten Glamour mit Realitätsnähe und existenzieller Erfahrung, als alleinerziehende Mutter, frühe Witwe oder Trauma-Opfer, und wurden durch ihre stilsichere Spielweise nobilitiert. Einzige Ausnahme: Robert Aldrichs und Sergio Leones Sandalen-Abenteuer »Sodom und Gomorrha« (1962), in dem Anouk Aimée eine schurkisch-inzestuöse Königin gab. 

Auf der Leinwand präsent, wirkte ihre Erscheinung intensiv und in sich zurückgenommen. In Fellinis »La Dolce Vita« (1960) durchquert sie zum Beispiel energisch ein Tanzcafé an der Via Veneto, lüftet an der Bar die schwarze Sonnenbrille und blickt sich mit zerschlagenem Auge selbstbewusst um. Die Affäre mit Womanizer Marcello Mastroianni bahnt sich an, dies jedoch Liebe zu nennen, erscheint ihr in vollendet melancholischer Katerstimmung als trauriger Irrtum. 

»Weine, wer kann, lache, wer will«, Jacques Demys melancholisches Motto für »Lola« ist ein Schlüssel zu Anouk Aimées Filmen. Sie gehört zu der Generation der Nouvelle-Vague-Frauen, die perfekte Medien für den Skeptizismus ihrer Autorenregisseure waren und jede psychologische Expressivität unterspielten, ohne in aufgesetzte Coolness zu verfallen. In »Ein Mann und eine Frau Zwanzig Jahre später« (1985) bewies Claude Lelouch mit seinen brillanten Stars Aimée und Trintignant, dass die große Liebe unter Leuten im Filmbusiness scheitern muss. Altersmilde geworden, verhalf er den beiden 2020 jedoch in »Die schönsten Jahre eines Lebens« zu einem lakonisch liebevollen letzten Wiedersehen.

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