41. Filmfest München

Keine Chance, nutze sie
»Another German Tank Story« (2024)

»Another German Tank Story« (2024)

Neue deutsche Heimatfilme auf dem 41. Filmfest München

Der Begriff »Heimat« ist schwer zu fassen. Mehr als einmal wurde er im Lauf der deutschen Geschichte verbrannt. Skepsis scheint angebracht, und heute spricht man in Bezug auf Film gern von Anti-Heimatfilmen, von der Anti-Idylle, aber das ist auch nur die halbe Wahrheit. »Heimat«, das kann auch Suche bedeuten, nach Identität und Haltung, wie man schön in der Sektion »Neues deutsches Kino« des diesjährigen Filmfests München beobachten konnte. 

Etwa in »Im Rosengarten«, dem Debüt des Drehbuchautors Leis Bagdach. Kostja Ullmann spielt den Popstar Yak, einen Rapper in einer Kreativitäts- und Sinnkrise, der mit seiner syrischen Schwester, von der er nichts wusste, die Orte seines Lebens aufsucht. Der Film beschreibt fulminant, dass Heimat auch Wiederfinden bedeuten kann, verbunden durchaus mit großen Schmerzen. Und wenn man Heimat als eine genau definierte Region umschreibt, in der die Menschen vielleicht schon seit Jahrzehnten miteinander verbunden sind, dann kann man auch den Eröffnungsfilm der Reihe in die Nähe eines Heimatfilms rücken: Natja Brunckhorsts »Zwei zu Eins«, die in ein Feelgoodmovie verpackte Geschichte eines Geldraubs durch Wendeverlierer. 

Heimat ist, wenn man trotzdem bleibt. Das könnte ein Motto vieler Filme sein, die in der ostdeutschen Provinz spielen, wo sich in den Straßen die im DDR-Einheitsgrau verputzten Häuser aneinanderreihen. Ein solches Dorf ist Wiesenwalde, in dem eigentlich nicht viel passiert – bis in der alten Fabrik eine US-amerikanische Filmfirma eine Serie über den Zweiten Weltkrieg dreht. »Another German Tank Story« von Jannis Alexander Kiefer entwickelt seine Komik aus diesem Kulturclash und ist voll mit absurden Details. Von einer Heimkehr erzählt der in der Reihe »Neue deutsche Fernsehfilme« gezeigte »Micha denkt groß« von Lars Jessen und Jan Georg Schütte: Micha (Charly Hübner) will in seinem Heimatdorf Klein-Schappleben das heruntergekommene Gasthaus seiner Eltern in ein Luxushotel verwandeln. Was schon sehr schnell dran zu scheitern droht, dass auf einmal das Wasser versiegt. Am Ende entscheidet sich Micha doch zum Bleiben, gemäß dem von Herbert Achternbusch stammenden Spruch: Du hast keine Chance, also nutze sie. 

Auch Katinka, die ihr Dorf nicht verlassen will, hat keine Chance. Sie will Bäuerin werden, obwohl die Landwirtschaft nicht nur in ihrer Gegend in der Krise steckt. Die Idylle, die das Bild der Bauernfamilie auf dem Wurstglas vorgaukelt, trügt. »Milch ins Feuer«, im hohenlohischen Dialekt und in einem fast quadratischen Format gedreht, liefert mit Katinka, ihren Schwestern und einer Freundin ein authentisch wirkendes Porträt einer Landwirtsfamilie. Nur Johanna Wokalek, die die Mutter spielt, ist gelernte Schauspielerin, die anderen sind Laien, die Regisseurin Justine Bauer überzeugend zu führen versteht.

Man könnte auch »Frisch« von Damian John Harper zum Heimatfilm rechnen, der in einem genau abgezirkelten Ruhrgebiet spielt. Eine fulminante Mischung aus Sozialdrama und Gangstermovie, aufgehängt an einer aus dem Lot geratenen Beziehung zwischen zwei Brüdern, mit einem betörenden Look nächtlicher Straßen und abgedunkelter Wohnungen. »Frisch« war sicherlich ein Highlight der diesjährigen Reihe, genau wie »Klandestin« von Angelina Maccarone, der in verschachtelten Zeitebenen von einer konservativen Politikerin erzählt, deren Leben aus den Fugen gerät. 

»Milch ins Feuer« hat in diesem Jahr den Förderpreis als bester Spielfilm gewonnen, die FIPRESCI-Jury (der ich angehörte), entschied sich für Sad Jokes, den zweiten Film von Fabian Stumm, der mit einer ungewöhnlichen Personenkonstellation glänzt und auf  charmante Weise eine psychische Krankheit mit den Merkmalen einer Komödie zu erzählen weiß. Die Szene, in der die Hauptfigur, der Regisseur Joseph (Stumm), von seinem Produzenten (ein großartiger Godehard Giese) abgefertigt wird, gehört zu den Momenten, die im Gedächtnis bleiben werden. 

Die Reihe »Neues deutsches Kino« gehört zu den wichtigen Säulen des Filmfests München, in diesem Jahr zusammengestellt von Urs Spörri und den beiden Filmfest-Leitern Julia Weigl und Christoph Gröner, die nach dem Weggang von Diana Iljine das Festival erst einmal kommissarisch leiten. Und die es geschafft haben, die Besucherzahlen trotz manchen Wolkenbruchs und Starkregens von 58 000 im letzten auf 71 000 in diesem Jahr zu steigern.

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