Interview: Sandra Hüller über »Zwei zu Eins«
Sandra Hüller in »Zwei zu Eins« (2024). © X Verleih AG/Peter Hartwig
»Zwei zu Eins« ist vieles in einem: Abenteuerfilm, Sommerkomödie, Heist-Thriller, Liebesgeschichte. Was hat Sie daran am meisten gereizt?
Ehrlich gesagt, keine dieser Zuschreibungen, ich weiß nicht mal, was Heist ist. Mich hat diese Mischung aus schwer und leicht interessiert, die Melancholie, verbunden mit diesem unbedingten Optimismus, dieser Art, ganz praktisch an die Dinge heranzugehen, mit diesem Gemeinschaftsgefühl, in dem auch eine Trauer mitschwingt, über etwas, das zu Ende gegangen ist. Und die Liebes-Utopie, die darin steckt, die Art wie schwierige Dinge ehrlich angesprochen werden, das habe ich in einem Film über die ostdeutsche Zeit oder die Wendezeit in der Kombination noch nicht gesehen. Ich fand es toll, wie Natja Brunckhorst das eingefangen hat.
Nach »In den Gängen« von Thomas Stuber ist das auch für Sie schon der zweite Film, der die Wendezeit in einem differenzierteren, weniger herablassenden Tonfall rekapituliert. Wie wichtig ist Ihnen das persönlich als Thüringerin?
Natürlich ist mir das sehr wichtig, denn schließlich geht es da um echte Lebenszeit von Menschen. Je genauer man darüber spricht, je genauer man das beleuchtet und in all seiner Widersprüchlichkeit zeigt, desto besser ist das natürlich, denn die DDR war ja nie nur eines, sondern immer viele Dinge zugleich. Da gibt es nicht nur eine Erzählung darüber, sondern sehr viele, sehr persönliche und unterschiedliche.
Als die Mauer fiel, waren Sie elf Jahre alt. Gibt es auch Erinnerungen, die durch diesen Film wachgerufen wurden?
Nein, keine konkreten, das ist eher so eine Stimmung, die auch mit der Zeit davor zu tun hat, dieser Zusammenhalt in der Gemeinschaft, mit den Nachbarn, dieses gemeinsam anpacken! Da gab es immer irgendetwas zu tun, man hat sich unter die Arme gegriffen. Aber dazu muss ich auch betonen, dass das ein kindlicher Blick ist. Als Erwachsene hätte ich das vielleicht anders erlebt.
Nun ist Natja Brunckhorst ja nicht im Osten sozialisiert, sie hatte keinerlei Berührungspunkte mit dieser Welt. Warum haben Sie ihr trotzdem so vertraut?
Ich habe dem Buch vertraut, das sie geschrieben hat. Da war offensichtlich, dass sie sehr genau recherchiert und mit vielen Menschen über diese Zeit gesprochen hatte. Das hat mich überzeugt und beeindruckt.
Mit Filmen wie »Requiem«, »Toni Erdmann«, und zuletzt »The Zone of Interest« und »Anatomie eines Falls« sind Sie ein bisschen spezialisiert auf Figuren, die sehr viel zurückhalten. Im Kontrast dazu ist dieser Stoff sehr viel leichter und lichter, Ihre Rolle sehr viel extrovertierter. War das für Sie auch ein willkommenes Kontrastprogramm?
Genau deswegen habe ich es gemacht. Ja, das war ein willkommenes Kontrastprogramm. Ich finde es interessanter, Verschiedenes auszuprobieren, sich nicht auf eine Art von Energie in den Figuren zu beschränken. Warum auch?
Schon mit ihrem ersten Spielfilm »Requiem« kamen jede Menge Preise, nicht nur in Deutschland, sondern auch international, nicht nur im Kino, sondern auch auf der Bühne, bis hin zur Oscarnominierung für »Anatomie eines Falls«. Wie schaffen Sie es, trotzdem geerdet zu bleiben?
Ich glaube, ich habe ganz früh verstanden, dass das alles nicht mitkommt, wenn man stirbt. Da bleiben andere Sachen übrig. Darum ist es ganz toll, diese Preise zu bekommen, aber gleichzeitig ist es auch vollkommen egal. Das war auch nie etwas, auf das ich hingearbeitet habe. Vielleicht auch deswegen, aber genau kann ich es Ihnen nicht sagen.
Als Schauspieler*in ist man ständig unter Beobachtung, wird beurteilt und kontrolliert, durch Regisseure, Kollegen, die Presse, die Zuschauer. Sie sind auffällig mutig darin, auch die unvorteilhaften Seiten des Lebens zu zeigen. Woher kommt das?
Mit dem, was ich spiele, mache ich Angebote. In dem Moment, in dem ich das gemacht habe, gebe ich es aus der Hand. Weder kann ich den Schnitt beeinflussen, noch habe ich in der Hand, was im Kino damit passiert. Kontrollieren kann ich nur meinen Teil der Arbeit.
Mary Harron hat im Zusammenhang mit ihrem Film »Dalíland« festgestellt, dass amerikanische Schauspieler, anders als etwa die deutsche Barbara Sukowa oder auch der Brite Ben Kingsley, sehr darauf bedacht seien, schön und liebenswert zu wirken, also vor unsympathischen Rollen oft zurückschrecken.
Dazu kann ich nur sagen, dass es keine Menschen gibt, die immer nur so oder so sind. Ich glaube aber, dass es auch in Amerika Unterschiede gibt. Und dann gibt es umgekehrt ja auch Schauspielende, die immer die Bösen spielen und sich auch körperlich verändern oder verunstalten, was dann wieder als besonders tolles Schauspiel gewürdigt wird. Jedenfalls empfinde ich persönlich das nicht als etwas Besonderes, vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich vom Theater komme. Da sehe ich mich nicht beim Spielen, weiß aber immer, wie es sich anfühlt. Vielleicht hat sich das so stark verankert, dass ich davon auch etwas in den Film mitgenommen habe. Das kann ein Vorteil, aber auch ein Nachteil sein.
In jedem Fall ist es viel aufregender, das Leben in seiner ganzen Komplexität, auch in den schmutzigeren Seiten zu zeigen, aber das trauen sich eben nicht alle.
Es gibt ja Leute, denen guckt man auch in ihrer Perfektion sehr gerne zu. Nur kann ich das leider nicht leisten. Es gibt ja genug andere, die es können.
Nach »Alles in bester Ordnung« ist »Zwei zu Eins« der zweite Film, in dem Natja Brunkhorst den Schauplatz wie einen eigenen Charakter behandelt. Wie hat sich das für Sie angefühlt?
Ja, der Schauplatz war Natja sehr wichtig, das spielte ja auch fast alles an einem Ort, in diesem Haus in Gera, lediglich das Kombinat und dieser unterirdische Stollen waren woanders. Auch die Spielenden waren teilweise aus Gera, die ganze Geschichte war dort sehr stark verankert. Diese Verortung machte es leichter, ein Stück dieser Zeit wiederaufleben zu lassen, das wäre im Studio wahrscheinlich nicht gegangen.
Geld ist laut Dostojewski gedruckte Freiheit. Würden Sie das unterschreiben?
Ja, bedingt schon, zumindest in der gesellschaftlichen Verabredung, in der wir uns bewegen. Aber das ist natürlich relativ und muss nicht so sein. Das ist bloß eine Variante von vielen möglichen. Aber in dem System, in dem wir leben, ist das so, ja.
Sie haben sehr früh, in der Schule schon Theater gespielt. Erinnern Sie sich noch an den Moment, in dem Ihnen klar wurde, das wird mein Beruf?
Das war, als wir zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen wurden mit einem Stück, das im Rahmen eines Workshops entstanden war. Da war ich ungefähr siebzehn, und dachte mir, vielleicht probiere ich das einfach mal aus, mit der Schauspielschule, auch weil mir damals nichts Besseres einfiel. Danach ging es ziemlich schnell, dass es mein Beruf wurde.
Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert?
Skeptisch. Die wenigsten sagen da »ja, mach, das ist eine ganz tolle Idee!« Das ist mit Unsicherheit und Angst verbunden, weil Eltern ja auch nicht genau einschätzen können, ob das eigene Kind die nötigen Fähigkeiten hat, um davon leben zu können. Dazu kam, dass in meinem Umfeld niemand wusste, mich eingeschlossen, was das eigentlich ist. Ich wusste nur, ich will spielen.
Wie würden Sie dieses Spielen heute definieren?
Für mich hat das vor allem mit Wachstum und Forschung zu tun. Ohne hochtrabend klingen zu wollen, ging es mir immer darum, das Menschsein zu erforschen. Was macht einen eigentlich zum Menschen? Welche Gefühle gehören dazu? Auch die Wahlmöglichkeiten für das eigene Verhalten. Der ganze Beruf hat für mich sehr viel mit einer persönlichen Arbeit zu tun, die dann wiederum den Beruf befruchtet. Es eröffnen sich mehr Möglichkeiten für meine eigenen Reaktionen auf bestimmte Situationen und das ist schön. Es eröffnen sich auch für mein Leben andere Perspektiven.
Sie sind dann sehr jung auf die Ernst Busch-Schule gegangen, von der ja eine unfassbare Menge an Talenten kommen. Was machen die denn so richtig, oder auch anders?
Ich habe ja keinen Vergleich, darum kann ich das gar nicht umfassend beantworten. Aber ich habe es so empfunden, dass das eine sehr praxisorientierte Schule ist, die einen zu Disziplin und Bescheidenheit erzieht. Und das finde ich sehr richtig für diesen Beruf, da darf es nicht in erster Linie um Ruhm gehen. In dieser Schule wird vermittelt, dass das harte Arbeit ist und Handwerk und alles andere, was dann dazukommt, das kommt eben, oder es kommt nicht. An der Schule zeigen sie uns den Teil, den wir steuern können. Alles andere muss man mit ein bisschen Glück selber schaffen.
Sie spielen leidenschaftlich gern Theater, das heißt, Sie müssen bei der Wahl Ihrer Filmprojekte sehr wählerisch sein. Was sind da Ihre Kriterien?
Kriterien habe ich da gar keine, das ist immer eine sehr intuitive Entscheidung, was ja nichts Schlechtes ist. Ich fände es eher komisch, wenn man das berechnen könnte. Was sollen das für Faktoren sein? Selbst wenn ich Kategorien hätte, bin ich ja nicht mehr dieselbe wie vor fünf Jahren. Was mich interessiert oder reizt, verändert sich ständig.
Demnächst werden sie auf der Bühne erstmals Regie führen. Wie kam es dazu?
Das ist keine Einzelregie, sondern eine Regie mit meinem Kollektiv. Dazu kann ich noch nicht viel sagen, weil es noch sehr weit weg ist. Das war auch gar nicht mein Wunsch, das Angebot wurde aus Halle an mich herangetragen, von den neuen Intendantinnen, und alleine wollte ich es nicht machen, sondern nur mit mehreren Leuten zusammen. Jetzt sieht es so aus, als wäre es meine Regie und ich kann nur jede Gelegenheit nutzen, um das klarzustellen. Die Verantwortung wäre mir auch schlichtweg zu groß, auch weil ich das nicht gelernt habe. Tom Schneider ist ein sehr erfahrener, sehr guter Regisseur und ein langjähriger Freund von mir. Und wir machen das zusammen. Eigentlich schaue ich ihm dabei zu, wie er das macht. Mir geht es auch gar nicht darum, Einfluss zu nehmen. Ich glaube, ich gucke wahnsinnig gern Theater, und stelle mir vor, dass ich da sehr lange gut zugucken kann. Das ist für mich eigentlich das Schönste daran.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns