Film Festival Motovun
»War Pony« (2022)
Das Festival von Motovun ist berühmt für seine Atmosphäre. Dass es auch eine Hochburg des Indiefilms ist, bestätigte sich in diesem Jahr
Das kroatische Städtchen Motovun ist spektakulär gelegen: Es thront in der Region Istrien auf einem seit vorrömischer Zeit besiedelten steilen Hügel, der ein weitläufiges grünes Tal überragt. Diese besondere Lage führt dazu, dass sich von beinahe jeder noch so kleinen verwinkelten Gasse ein atemberaubender Blick auf die Weite der Landschaft eröffnet. Ein Besuch in Motovun, das ist keine Übertreibung, ist eine visuell überwältigende Erfahrung. Es bietet sich also gewissermaßen an, vor dieser Kulisse das Kino zu zelebrieren. Seit 1999 findet hier jährlich das Motovun Filmfestival statt und nutzt auf vielfältige Weise das spezielle Setting. So läuft der Großteil der Vorführungen unter freiem Himmel ab; gewöhnlich wird danach getanzt und gefeiert, bis sich die mediterrane Sonne wieder über der Ebene erhebt.
Standen in den Anfangsjahren des Festivals noch diese mittlerweile legendären Partys im Vordergrund, hat sich Motovun nun im übertragenen und im wörtlichen Sinn zur Hochburg des geschmackvollen Indiekinos entwickelt. Dazu kommen wechselnde Partnerländer, in diesem Jahr Schweden, deren nationale Filmgeschichten in einer Retrospektive gewürdigt werden, sowie die Verleihung eines Ehrenpreises an verdiente »RebellInnen« des Kinos. In diesem Jahr konnte das Festival sich nicht nur mit einer vollumfänglichen Rückkehr zu präpandemischer Größe rühmen – obschon das Team selbst im Jahr 2020 Open-Air-Screenings in umliegenden Dörfern organisierte – sondern auch mit einem besonders hochkarätigen Filmprogramm.
Wie auf vielen kleinen und mittleren Festivals gibt es in Motovun eine Auswahl von europäischen und internationalen Filmen zu sehen, die es teilweise bereits in die Programme der großen drei (Berlin, Cannes, Venedig) sowie anderer prominenter Festivals geschafft haben. Die KuratorInnen wissen aber, dass sich ein Film auf dem wunderschönen Motovuner Kirchplatz noch einmal ganz anders entfalten kann als in einem traditionellen Kino. Genauso geschieht es dann auch beim grandiosen iranischen Eröffnungsfilm »Hit the Road« von Panah Panahi.
Vor Beginn des Films bekundet Festivalchef Igor Mirković Solidarität mit Panahis Vater, Jafar, der kurz zuvor im Iran festgenommen wurde. Mit einem optisch eindrucksvollen Seifenblasensturm aus zuvor verteilten Spendern unterstützt das Publikum die Forderung nach der sofortigen Freilassung Panahis. Das Regiedebüt seines Sohnes hinterlässt einen dann tief berührt: Hit the Road folgt einer Familie auf eine lange Autofahrt durch die erhabene iranische Landschaft – mit zunächst ungewissem Ziel. Star des Films ist der siebenjährige Rayan Sarlak, der den jüngeren Sohn mit ansteckender positiver Energie spielt.
Der große Preis der Jury ging an ein anderes Debüt. Die US-Schauspielerin Riley Keough hat gemeinsam mit der Filmemacherin Gina Gammell einen Film gedreht, der sich um ein authentisches Bild des Alltags in einem Reservat des Oglalastammes bemüht. »War Pony« porträtiert zwei indigene Jugendliche auf ihrem Weg zwischen Tradition und Moderne und scheut dabei nicht vor der Darstellung der bitteren Armut, allgegenwärtiger Drogen und der schwelenden Gewalt zurück. Gleichzeitig aber findet der gelungene Coming-of-Age-Film auch immer wieder Momente der Leichtigkeit – inhaltlich wie stilistisch hat sich Keough dabei von Andrea Arnolds »American Honey« beeinflussen lassen, in dem sie eine zentrale Rolle spielte.
Der Kritikerpreis wurde an einen deutlich schwieriger zu kategorisierenden, aber nicht weniger spannenden Beitrag verliehen. »The Sacred Spirit«, das Langfilmdebüt des Spaniers Chema García Ibarra, vermengt Motivschnipsel esoterischer Mystik und Verschwörungstheorien anfänglich zu einer liebevoll inszenierten Groteske im Stil von Aki Kaurismäki und Roy Andersson. Wir folgen einer Gruppe von exzentrischen UFO-Gläubigen in einer spanischen Kleinstadt, die um ihren kürzlich verstorbenen Anführer trauern. Von Beginn an aber lauert etwas Düsteres im Hintergrund: Kinder verschwinden, Gerüchte kursieren, religiöse Fanatiker treiben (nicht zuletzt im Fernsehen) ihr Unwesen. Das unerwartete Ende versetzt dem Zuschauer einen regelrechten Schlag in die Magengrube. Man kann nur hoffen, dass es dieser innovative Film regulär in die Kinos schafft.
Auch abseits des Hauptprogramms gab es Schätze zu entdecken: Im Rahmen der schwedischen Retrospektive wurde etwa der Stummfilmklassiker »Häxan« um Mitternacht mit Livemusik aufgeführt; anlässlich der Verleihung des Ehrenpreises an den serbischen Regisseur Goran Marković konnte man dessen selten gezeigte Kultkomödie »Nationalklasse« von 1979 bewundern – ein schräges Porträt der jugoslawischen Gegen- und Jugendkultur. Am Ende der fünf Tage möchte man den Hügel gar nicht mehr verlassen.
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