Interview: Sven Taddicken über seinen Film »Das schönste Paar«
Sven Taddicken am Set von »Das schönste Paar« (2018). © Koryphäen Film
Herr Taddicken, Ich bin vermutlich nicht der einzige, der über den Titel gestolpert ist, bei dem man auch an eine romantische Komödie denken könnte.
Es geht um die Verarbeitung eines traumatischen Erlebnisses. Ich habe zwei Figuren: sie, die ihre Lebenslust wieder herbeisehnt, während er in einer fast archaischen Grundangst versinkt: Habe ich die Liebe meiner Freundin noch verdient, obwohl ich sie nicht beschützen konnte? Das scheinen mir sehr paarspezifische Ängste. Es gibt viele Filme, die die Betroffenheit zeigen – mich hat es sehr berührt, dass die beiden sagen, »wir machen weiter, wir bleiben zusammen, wir schauen auf das, was vor uns liegt.« Das fand ich sehr inspirierend. Der Titel meint das Paar, das immer noch zusammenbleiben will, obwohl sie das zweite Mal durch die Hölle gehen werden.
Ihr Ausgangspunkt war eher das Paar, nicht das Trauma?
Ja, aber das kam fast gleichzeitig – ich wusste, ich wollte den Zeitsprung machen, wusste aber noch nicht, wie groß der sein sollte. Ich wusste, ich will dann noch mal neu ansetzen, wenn sie glaubt, sie packt das, sie versuchen es noch einmal, sie wollen weitermachen, ich erzähle das Ende der Therapie, nicht die Therapie selbst, die Frage, wenn es erneut hochkommen würde, anhand des Täters, der wieder auftaucht. Und auch die Beziehungsdynamik: was wäre, wenn er, der nicht direkt betroffen ist, trotzdem glaubt, dass der Täter eigentlich stellvertretend für seine Schuld steht.
Wie sieht es mit bestimmten Genreelementen aus? Am bekanntesten ist natürlich das Rächer-Muster, wie es »Ein Mann sieht rot« vorexerziert hat. Auch Sie arbeiten mit Genreelementen: wenn Maximilian Brückner auf dem Bahnsteig auf der Bank sitzt und wartet, dass der Täter auftaucht. Ebenso erzeugen Sie beim Zuschauer die Spannung: wie wird die Geschichte ausgehen? Inwieweit hat das in Ihren Überlegungen eine Rolle gespielt?
Natürlich hat der Film etwas von einem Thriller, mir hat das immer gefallen, einerseits, weil ich das Gefühl habe, ich gehe ein Stück weiter mit dem Film, weil ich die Figuren weiter erzählen kann und auch reflektierter sein lassen kann. Gleichzeitig habe ich einen Motor, der das in Gang hält, die Wiederbegegnung mit dem Täter. Ich erzähle ein Drama und habe gleichzeitig den Thriller, der darunter brodelt.
Hat sich der Schluss relativ schnell ergeben? Da sind ja bis kurz vor Ende auch viele andere Szenarien denkbar.
Es war in der Tat ganz schwierig, das Ende zu schreiben. Der Film bietet ja ganz viele Möglichkeiten, aber nichts davon fühlt sich wirklich befriedigend an, weder die indirekte Rache, indem er zu der Freundin des Täters geht, noch dass er selber zum potenziellen Mörder wird, wenn er im Zweikampf mit dem Täter die Oberhand hat und ihn würgt, ebenso wenig ihre Vergebungsfantasie, die sie in der Therapie hatte. Das Drehbuch hörte eigentlich damit auf, dass die beiden aus dem Krankenhaus nach Hause kommen und anfangen, ihre Wohnung aufzuräumen. Beim ersten Treffen meinte Maximilian Brücker, da fehle doch etwas: was hältst Du davon, wenn wir die Wohnung zerdeppern? Das fand ich schön, weil das etwas ist, was mit dem Trauma nichts zu tun hat. Jetzt ist in ihrem Leben vielleicht Platz für einen Neuanfang.
Wie schwer war es, die Figur des Täters zu zeigen?
Ich war sehr dankbar, dass Leonard Kunz sich die angeeignet hat. Es war nicht einfach, denn man möchte sich in so etwas nicht hineinversetzen. Ich war mir immer im Klaren darüber: Ich interessiere mich nicht dafür, warum der das macht, ich will etwas anderes erzählen. Diese Entscheidung war sehr früh präsent, das hat mir eine Sicherheit gegeben, mich auf das Paar zu konzentrieren. Wenn man ihn zwei Jahre nach der Tat erlebt, mit Wohnung und Freundin, bekommt die Figur etwas Menschliches, ohne aber die Tat zu verharmlosen.
Von der Inszenierung her schwierig war sicherlich die Szene des Gewaltakts am Anfang. War da alles im Drehbuch genau festgelegt, haben Sie das mit den Schauspielern bei der Leseprobe ausgearbeitet oder erst am Drehort selber?
Gerade in der Kombination von Intimität und Gewalt war dieser Anfang sehr genau durchgeplant, choreografiert. Jeder Schauspieler wusste, wie der Partner sich bewegen wird, wo die Kamera stehen wird. Wir haben das einmal in Berlin geprobt, zum anderen hatten wir auf Mallorca einen ganzen Tag vor Drehbeginn dafür, nur an dieser Szene zu proben. Ich glaube, dass das den Schauspielern die notwendige Sicherheit gab. Wenn man sich seiner Geschichte relativ sicher ist, freut man sich über Ideen von Schauspielern.
Der Film hat eine lange Festivalkarriere hinter sich. Haben Sie bei den Diskussionen die Erfahrung gemacht, dass die Frage nach dem Verhalten geschlechtsspezifisch unterschiedlich beantwortet wird? Dass Frauen eher so handeln würden wie die Protagonistin – oder dass es total umgekehrt ist?
Eigentlich versuche ich mich nicht so sehr für die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu interessieren, wobei es die natürlich gibt und sie gerade im Moment wider weitreichende Rollen spielen. Beim Schreiben war ich mir da nicht so sicher. Wenn Malte anfängt, Boxtraining zu machen, sieht das natürlich sehr nach männlichem Verhalten aus. Die Energie, mit der Liv bestimmte Sachen anpackt, könnte man allerdings auch eher einem Mann zuschreiben. Den Zuschauern, denen der Film gefällt, gefällt auch, wie Liv das angeht. Viele Männer verstehen auch den Malte und stellen sich trotzdem die Frage, wie viel bringt dieses Schuldgefühl.
Sie haben zur Vorbereitung auch Filme gesehen: gab es darunter welche, die für Sie positive Beispiele waren oder waren das ausschließlich Rachegeschichten, von denen Sie Sich absetzen wollten?
Im Lauf der langen Arbeit an dem Film hat es tatsächlich eine Reihe positiver Beispiele gegeben, sei es jetzt »Elle« von Paul Verhoeven, wo ich zum ersten Mal eine starke Frauenfigur erlebt habe, die sehr offensiv damit umgeht, dann Asghar Farhadis »The Salesman«, wo toxische Männlichkeit angedeutet wird, oder jetzt »Alles ist gut« von Eva Trobisch. Beim Schreiben war es »In the Bedroom« von Todd Field: als Geschichte eines Ehepaares, das mit einer traumatischen Erfahrung umgehen muss, hat er mir Rückhalt gegeben. Für die Inszenierung war Patrice Chereaus »Intimacy« wichtig, den hatte ich gesehen, als er rauskam, damals hatte ich gerade die Filmhochschule abgeschlossen. Eine schöne Geschichte: als ich nach der Musik für meinen Film suchte, habe ich als Flucht nach vorne Eric Neveux eine e-mail geschrieben, der die Musik für »Intimacy« gemacht hatte und gefragt, ob er nicht einmal Lust hätte, eine Musik für einen deutschen Film zu schreiben. Das hat geklappt.
Wie schwer war die Produktion des Films im Hinblick auf Fördermittel und Sendeanstalten?
Ich würde sagen, es war schwer, obwohl er ja zustande gekommen ist. 2011 bekam ich eine Drehbuchförderung. Das Buch war 2013 fertig, 2014 begannen die Castings, aber dann hat es noch einmal drei Jahre gedauert. Der WDR war der erste Sender, wobei dort auch lange Zeit die Gelder nicht frei waren.
Wie kam es dazu, dass der Film als deutsch-französische Koproduktion entstanden ist?
Das haben die Produzenten von One Two Films in die Wege geleitet, die kannten eine französische Firma. Es gibt einen Fördertopf, der Mini traité heißt und solche Zusammenarbeiten unterstützt.
Mussten Sie dafür Bedingungen erfüllen?
Tatsächlich kaum. Wir wollten die Anfangsszene zuerst auf Korsika drehen, um der Sache entgegenzukommen, Dann stellte sich aber heraus, dass der Dreh auf Mallorca einfacher und günstiger war, zumal das Ganze in der Finca des Vaters des deutschen Produzenten gemacht wurde. Aber das war für Mini traité kein Problem, denen ging es eher um den ideellen Wert.
In Ihrer Filmografie gibt es zwischen »12 Meter ohne Kopf« und »Gleißendes Glück« eine siebenjährige Lücke…
Vielleicht war mein Start zu gut mit »Mein Bruder, der Vampir« und »Emmas Glück«, ich hatte die Filmhochschule gerade hinter mir mit 26. Bei »12 Meter ohne Kopf« wusste ich nicht, was ist da schiefgelaufen? Ich hatte durchaus Angebote, aber ich glaube, ich wollte mir selber beweisen, dass ich auf der Kinoebene weitermachen kann. Ich hatte das Gefühl, jetzt bleib mal hart, bleib bei Deinen Stoffen – sowohl »Gleißendes Glück« als auch »Das schönste Paar« kamen schon 2011 zu mir. Ich habe zudem für One Fine Day Films, der Firma von Tom Tykwer und Marie Steinmann, in Kenia den Spielfilm »Veve« begleitet und habe an der englischsprachigen Met Film School in Berlin unterrichtet. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Pause etwas kürzer gewesen wäre, aber vielleicht habe ich mir da auch nicht die einfachsten Stoffe ausgesucht.
»Das schönste Paar« hat eine eindrucksvolle Liste von Festivalteilnahmen zu verzeichnen, kommt aber in Deutschland bei einem relativ kleinen Verleih heraus.
Es war sehr schwer, mit diesem Thema einen Verleih zu finden, weil wirklich alle gesagt haben, »Superfilm, wirklich spannend, ich konnte gar nicht schlafen danach – aber das will doch niemand sehen!« Vielleicht gibt es in Deutschland diese Kultur nicht: Kino, das Ängste berührt.
War das bei den Festivalaufführungen ähnlich?
Ja, in Toronto, wo der Film seine Weltpremiere hatte, sagten viele Einkäufer und Verleiher, das sei der beste Film, den sie auf dem Festival gesehen hätten – aber das könnten sie ihrem Publikum nicht zumuten. Ich habe mir selbst immer gesagt, das wird schwer, den loszuwerden, aber: Sven, Du machst hier einen guten Festivalfilm. Mit Beta Cinema haben wir aber immerhin einen guten Weltvertrieb.
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