Max Ophüls Festival in Saarbrücken
»100 Arten den Regen zu beschreiben« (2017). © Film Kino Text
Das traditionsreiche Max Ophüls Festival in Saarbrücken stellte erneut mit einem ambitionerten und heterogenen Programm die Bandbreite des deutschsprachigen Nachwuchsfilms vor
Dass die Regisseurinnen und Regisseure, die noch an den Filmhochschulen oder kurz danach ihre ersten Filme drehen, oft Themen wählen, die auch in ihren Biografien hätten vorkommen können, ist eine Erfahrung, die man über die Jahre in Saarbrücken macht. Das Heranwachsen, Pubertät, erste Liebe, das Gefühl von Perspektivlosigkeit, Filme mit solchen Inhalten waren immer schon vertreten, die beiden schönen Max Ophüls Preisträger der beiden letzten Jahre, »Einer von uns« (2016) und »Siebzehn« (2017), bestätigen das: die Protagonisten waren deutlich unter 20.
Auch der Schweizer Beitrag Blue My Mind beginnt wie ein klassisches Coming-of-Age-Drama, doch der Film hat es in sich. Mia (Luna Wedler) ist mit ihren Eltern in eine neue Stadt gezogen. Es ist nicht leicht für sie, sich in eine neue Freundinnen-Clique einzufügen, die noch dazu ziemlich aggressiv wirkt, die Eltern werden fremd, Drogen sind im Spiel und ziemlich schneller Sex auch. Das ist alles nicht ungewöhnlich, gerade in der Spätpubertät, wenn auch ein bisschen exzessiv, doch geschickt baut Regisseurin Lisa Brühlmann Stolpersteine ein: Mia stopft sich einen Fisch aus dem elterlichen Aquarium in den Mund, ihre Zehen sind auf einmal aneinandergewachsen. Da geht der Film in einen physischen Horror über, mit schuppenartigen Ekzemen an den Beinen, bis sich Mia in ein Meerwesen verwandelt.
Diese Mischung aus genau beobachteter Pubertätsstudie und fantastischen Elementen machte »Blue My Mind« nicht nur zu einem der interessantesten Beiträge des ambitionierten Programms. Er stand auch für das zentrale Motiv vieler Filme dieses Programms: Transformation, die schleichende Verwandlung in einen anderen Menschen. Das konnte man auch in einem anderen Schweizer Beitrag studieren, »Goliath« von Dominik Locher. Da verwandelt ein junger Mann, herausgefordert durch eine Demütigung in der U-Bahn, seinen Körper in ein Muskelpaket durch Steroide und merkt nicht, dass er die eine Überforderung durch eine neue zu kompensieren versucht. In »1000 Arten Regen zu beschreiben« ist die Verwandlung schon so weit fortgeschritten, dass sie gewissermaßen nur noch als Leere vorkommt: Der 18-jährige Mike hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen, kommuniziert nicht mehr mit der Außenwelt – und schon gar nicht mit seiner Familie. Aber es geht auch nicht um ihn, den man nie zu Gesicht bekommt und der immer wieder Zettel über den Regen unter der Tür durchschiebt, sondern um seine Familie, die zu zerfallen beginnt, die sich nicht mehr füreinander interessiert, in der jeder eigene Wege geht. Der deutsche Film lässt ja ein solches Thema gerne in coolen Interieurs spielen, hier ist es eine Mittelschichtfamilie in einem ziemlich hässlichen 60er Jahre-Anwesen.
Und in Gutland von Govinda Van Maele merkt die Hauptfigur selbst gar nicht, wie sie sich verändert hat bzw. verändert wird. Da kommt ein junger Mann, Jens (Frederick Lau), in ein luxemburgisches Dorf, um Gras wachsen zu lassen über den Überfall auf ein Spielkasino, findet Arbeit bei der Ernte und gleich so etwas wie eine Freundin (Vicky Krieps). Das anfängliche Gefühl der Fremdheit in einer Umgebung, die durch harte Arbeit, Wirtshaus und Blaskapelle bestimmt ist, weicht langsam einer Gewöhnung – und er merkt nicht, wie er schon längst Teil eines größeren Plans geworden ist. Und ein anderer. Gutland, der beeindruckend mit Spannungs- und Noir-Elementen arbeitet, könnte man einen Psychothriller nennen. Überhaupt war das Genre-Kino, das man in den letzten Jahren im deutschsprachigen Film wieder wahrzunehmen beginnt, in Saarbrücken stark vertreten, mit dem im Spätmittelalter situierten erdigen Heimatfilm Hagazussa, dem österreichischen Polizeifilm Cops und dem deutschen haunted-house-Thriller Jenseits des Spiegels, der sicherlich konventionell daherkommt – aber für einige Aufschreie gut ist.
Aber am Ende, das wissen wir aus einem guten Genrefilm, kommt alles immer anders. »Blue My Mind« hat von der Jury immerhin den Regiepreis bekommen, aber beim Hauptpreis entschied sich die Jury für »Landrauschen« von Lisa Miller, der seine schwäbischen Dörfler ziemlich vorführt, kaum nachzuvollziehen.
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