Interview mit Paweł Pawlikowski über seinen Film »Cold War«
»Cold War« (2018). © Neue Visionen Filmverleih
Ihr Film hatte seinen Ausgangspunkt in der Lebensgeschichte Ihrer Eltern…
Ich würde eher sagen, er war inspiriert davon. Sie hatten eine stürmische Beziehung, die über vierzig Jahre andauerte – noch verwickelter als im Film.
Inwiefern verwickelter?
Einfach, weil sie länger lebten. Ihre Geschichte hatte weniger eine dramatische Form, war chaotischer. Vergessen Sie einfach, dass es sich um meine Eltern handelt (obwohl ich ihre Namen beibehalten habe). Ich wollte die Geschichte eines Paares erzählen, dass nicht nur schlecht zueinander passt, sondern zudem noch die Welt gegen sich hat. Mich interessierte, was die beiden zusammenbringt und was sie zusammenhält. Sie bleiben zusammen, weil sie sich eine Geschichte erschaffen haben, die sie vom Rest der Welt absetzt. Sie sind zusammen, sie trennen sich, haben neue Partner, sie kommen wieder zusammen – und das in verschiedenen Ländern.
Was veranlasste Sie, die Protagonisten Ihres Films zu Musikern zu machen?
Das gab mir einen guten Rahmen für die Geschichte und versah ihre chaotische Beziehung mit dem notwendigen Leim, der sie zusammenhielt. Die Musik war das Einzige, was sie immer gemeinsam hatten. Sie brachte die Musik aus der Provinz in die Mitte der Gesellschaft, ihm gab sie eine Möglichkeit, zu arbeiten. Jazz war zu Stalins Zeiten nicht erlaubt, so spielt er Volksmusik, die erwünscht war. Auf diese Weise konnte ich die beiden auf würdevolle Art zusammenbringen und für eine Weile zusammenhalten. Zudem gefiel es mir in der Verführungsszene besser, dass er »I love you, Porgy« von George Gershwin spielt als wenn er etwas gesagt hätte. Ich wusste, dass Musik in diesem Film eine große Rolle spielen würde und dies war nun einmal eine sehr praktische Methode, sie hineinzubringen.
Sie haben selber Erfahrung als Musiker?
Ein bisschen, ich habe viel Jazz in Bars gespielt und damit ein wenig Geld verdient, aber es war nie meine wahre Beschäftigung.
Der Moment in dem Pariser Club, als er Jazz spielt, hat eine sehr befreiende Wirkung. Wie sieht es mit der Volksmusik aus, die er zuvor spielt? Sehen Sie darin auch kleine Momente der Befreiung, oder war die vollkommen systemkonform? In Deutschland hat Volksmusik eher einen schlechten Ruf – zumindestens kommt sie mit kitschigen Texten daher, wenn sie nicht gar mit nationalistischem Gedankengut identifiziert wird. Wie ist das in Polen?
Ich habe viel Volksmusik gehört, es geht in den Texten vor allem um Liebe, Sehnsucht, aber auch die Angst, sein Heim zu verlieren. Ich würde sagen, 90% handeln von der Liebe. Erstaunlich ist die Energie, die darin steckt. Für die Recherche zu diesem Film bin ich zu vielen Festivals gefahren. Dort herrscht eine Energie, die dem Jazz nicht fremd ist – viel davon wird allerdings auch durch Alkohol befeuert. Denken Sie nur an die Frau mit dem Akkordeon am Anfang des Films. Volksmusik wurde nie als ein ideologisches Instrument angesehen, bis Stalin und die kommunistischen Regierungen Volksmusik als Gegenmittel gegen westlichen Rock’n’Roll förderten. Darunter litten dann nach dem Ende der sozialistischen Gesellschaftssystem vor allem die Volkmusikensembles. Derzeit gibt es allerdings so etwas wie ein Revival dieser Musik, wie ich bei der Vorbereitung dieses Films feststellen konnte. Musiker gehen in die Provinzen auf der Suche nach verlorengegangenen Melodien, oder arbeiten mit älteren Musikern zusammen – es gibt ein großartiges Ensemble, die Warsaw Village Band, die bei ihren Konzerten mit Folkloresängern aus entfernten Teilen Polens zusammenarbeitet – was sehr gut funktioniert. Diese Art von Musik hat durchaus etwas Befreiendes – während die Neonazis in Polen auf amerikanischen Rap oder Heavy Metal stehen.
Die Geschichte Ihres Films umfasst einen Zeitraum von 14 Jahren, zwischen denen es immer wieder Ellipsen gibt. Wie haben Sie die jeweiligen Jahre und Orte festgelegt? Es wirkt alles sehr konzentriert.
Das war in der Tat ein längerer Prozess. Es begann mit einer Geschichte, die der meiner Eltern stark ähnelte. Das war, wie ich anfangs schon sagte, zu kompliziert und zu lang. So nahm ich immer mehr Teile heraus und fügte die Musik hinzu. Mir war schnell klar, dass ich die Ereignisse auf einen kürzeren Zeitraum beschränken musste, weil ich mit denselben beiden Darstellern arbeiten wollte. Ich habe eine Reihe von Szenen gestrichen, die zeigten, wie wir von A nach B kamen. Diese Erklärrungen waren nicht wirklich nötig, die Zuschauer können sich das meiste selber zusammenreimen.
Sie haben im Vorspann auch eine Nennung für Bildgestaltung. Was genau meint das?
Ich kümmere mich um den Bildausschnitt und, gemeinsam mit meinem Kameramann, um das Licht. Ich arbeite aber auch sehr eng mit meinem Production Designer zusammen. Wenn über die Fotografie eines Films gesprochen wird, wird das allzu oft auf die Kameraarbeit beschränkt. Es geht dabei aber um die ganze Welt, die vor der Kamera erschaffen wird. Der Bildausschnitt, die Farben, bis hin zu den Statisten im Hintergrund. Dem Film geht immer eine umfangreiche Recherche, gemeinsam mit dem Kameramann und dem Production Designer, voraus.
Es gibt Filmemacher, denen sind die Schauspieler am wichtigsten, andere achten vor allem auf den Bildausschnitt. Für mich ist beides gleich wichtig – und es muss zueinander passen. Das ist ein dokumentarischer Impuls – etwas einzufangen und die richtige Form dafür zu finden. In einem Spielfilm, speziell wenn man viele Takes macht, passiert nichts wirklich, aber ich möchte, dass eine bestimmte Magie entsteht.
Auch Ihr vorangegangener Film »Ida« war schon im klassischen Format 1:1,37 gedreht. Manche könnten daraus schließen, Sie möchten damit ein Markenzeichen etablieren…
Nein, das würde ich nicht sagen. Wenn ich so drehe, kommt mir das ganz natürlich vor, das ideale Format für Porträts und Doppelporträts. Ich möchte auch nicht zu viel im Bild zeigen, möchte eine Welt lieber andeuten als sie zu zeigen. Das kann aber manchmal auch eine Frage des Geldes sein.
War es für Sie von Anfang an klar, dass der Film in Schwarzweiß sein würde?
Nicht von Anfang an, aber doch ziemlich schnell. Ich habe einige Überlegungen mit ORWO Color und ausgebleichten Farben angestellt, aber das kam mir zu künstlich und zu prätentiös vor. Zudem wäre es schwer gewesen, die passenden Farben zu finden, weil sich die Geschichte über einen so langen Zeitraum erstreckt. Schwarzweiß war naheliegend, auch wenn einige das auch prätentiös finden werden – mir schien es höchst natürlich.
Sie waren viele Jahre lang in Großbritannien erfolgreich, wo Sie für Ihre Arbeiten zahlreiche Auszeichnungen bekamen, besonders für »My Summer of Love« (2004). Weshalb entschlossen Sie Sich, in Ihr Geburtsland Polen zurück zu gehen, das Sie als Vierzehnjähriger verlassen hatten?
Das Leben selber! Und weil ich den Eindruck hatte, nicht so viele britische Geschichten erzählen zu können. Als ich noch als Dokumentarfilmer arbeitete, drehte ich nie einen Film in Großbritannien. Ich war viel mehr angezogen von anderen Ländern wie Russland oder Bosnien. In Großbritannien fielen mir die Geschichten immer schwer, während mir solche mit polnischen Wurzeln immer leicht fielen. In Großbritannien ist zudem Klasse ein wichtiges Thema. Da hatte ich den Eindruck, das können britische Regisseure so gut, dafür brauchen Sie mich nicht. Mich interessieren mehr transzendente Themen und geschichtliche. Ich mag es sehr, wenn ich geschichtliche Ereignisse mit einer Landschaft in Verbindung bringen kann, ich mag Geschichte, die man fühlen kann.
Wir hören aus Polen Besorgnis erweckende Nachrichten über die Einflussnahme der Regierung in allen möglichen Bereichen. Wie sieht das in Bezug auf das Kino aus? Wie wurde dieser Film finanziert? Kam das meiste Geld aus Frankreich?
Nein, aus Polen. Als dieser Film finanziert wurde, existierte der Filmfonds noch in alter Besetzung. Inzwischen hat sich das geändert. Die Regierung versucht, mehr Einfluss zu nehmen. Sie haben die alte Leiterin entlassen, aber sie wissen nicht, wie sie das Kino kontrollieren sollen, weil es kaum Filmemacher gibt, die regierungsfreundliche Filme drehen wollen. Ihre Vorstellung vom Kino ist, dass Mel Gibson einen polnischen Nationalhelden verkörpert. In anderen Bereichen ist das anders: Bei Journalisten und Richtern haben sie regimetreue Leute eingesetzt. »Cold War« war aber nie Gegenstand einer Kontroverse, im Gegenteil, der Filmfonds hat (in seiner neuen Zusammensetzung) noch 130.000 € bewilligt, auch um ihn beim Festival von Cannes zu präsentieren, was mit einigen Kosten verbunden war. Kino ist kein Medium mehr, mit dem Politik gemacht wird, dafür stehen heute eher Fernsehen und Internet.
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