Sundance Film Festival 2017: Der Schatten des Präsidenten
»Whose Streets?« (2017) © Lucas Alvarado Farrar/Autumn Lin Photography
Das Sundance Film Festival ist ein Seismograph – für Newcomer und Trends im amerikanischen Film. In diesem Jahr spiegelte es aber auch die politische Stimmung der USA nach den Wahlen wider
Das Sundance Film Festival in Park City im US-Bundesstaat Utah ist das bedeutendste amerikanische Festival des unabhängigen Films. Vor einer grandiosen Bergkulisse treffen sich hier Filmemacher, Produzenten, Verleiher, Filmkritiker und Cineasten und konkurrieren mit den Skitouristen um die besten Quartiere. Inspirierend ist das breite Spektrum der Filme. Das Festival gliedert sich in vier Wettbewerbssektionen: Zwei davon sind dem amerikanischen Film gewidmet, zwei dem internationalen, jeweils nach den Sparten Spiel- und Dokumentarfilm unterteilt. Den Wettbewerb ergänzen Filme, die außer Konkurrenz laufen, Kurzfilme, Virtual-Reality-Installationen und etliches mehr. Flankiert wird das Filmprogramm von Paneldiskussionen und Livemusik, und einen lebendigen Filmmarkt gibt es auch. Das Herzstück des Festivals ist das Sundance Institute, das Robert Redford 1981 in seinem Mountain Resort gegründet hat. Ein kreatives Laboratorium, das Filmemachern die einzigartige Chance bietet, abseits von Hollywood Filme zu präsentieren, die sich durch individuelle Erzählweisen auszeichnen.
Was hier entdeckt wird, gilt als oscarverdächtig. Wie etwa »Whiplash« von Damien Chazelle, der 2014 in Sundance den großen Preis der Jury gewann. Oder »Manchester by the Sea«, der aktuell im Oscarrennen ist. Auch in diesem Jahr waren die Festivalteilnehmer wieder auf der Suche nach dem einen Film. Doch es fand sich kein klarer Favorit. Überhaupt war in diesem Jahr vieles anders. Für Ausnahmezustände sorgten eine Cyberattacke, die den Ticketverkauf lahmlegte, ein Stromausfall, ein heftiger Schneesturm – und ein neuer Präsident im Weißen Haus.
Das 33. Sundance Film Festival begann am 19. Januar mit einem Film zum Klimawandel. Einen Tag vor der Amtseinführung von Donald Trump. Zur Premiere des Eröffnungsfilms war Al Gore angereist. Ein Jahrzehnt nachdem der ehemalige US-Vizepräsident in dem oscarprämierten Dokumentarfilm »An Inconvenient Truth« (2006, Davis Guggenheim) ein Millionenpublikum für die Folgen des Klimawandels sensibilisierte, steht er erneut vor der Kamera. »An Inconvenient Sequel: Speak Truth to Power« von Bonni Cohen und Jon Shenk erkundet, wie massiv der Klimawandel fortgeschritten ist, welche Erfolge in der Klimapolitik erzielt wurden und wie nahe die Lösung des Problems schien. Mit der Wahl des Klimawandelskeptikers Trump zum Präsidenten steht nun alles wieder in den Sternen. Doch Gore lässt sich nicht beirren. Er verschafft sich einen Eindruck von den erdrückenden Fakten, sei es das geschmolzene Grönlandeis oder die tropischen Regenstürme, die Küstenstädte wie Miami heimsuchen. Gore ist ein Mann mit politischem Geschick und Sinn für praktische Lösungen. Die Nachhaltigkeitsrevolution, so sagt er, wird die Welt unaufhaltsam verändern, so wie alle großen moralischen Bewegungen vor ihr. »An Inconvenient Sequel« war der Auftakt eines neuen Schwerpunkts, mit dem Sundance Umweltthemen ins Zentrum der kulturellen Aufmerksamkeit rücken will: »The New Climate«. Möglich, dass künftig noch ganz andere Themen unter diesem Label aufgegriffen werden.
Wenn in diesem Jahrgang auch kein Ausnahmefilm dabei war, so gab es doch etliches zu entdecken. Etwa den mit dem Hauptpreis der Jury ausgezeichneten Spielfilm »I Don't Feel at Home in This World Anymore« (Macon Blair). Was wie eine aktuelle Zustandsbeschreibung klingt, ist eine Identitätsfindungsgeschichte mit schwarzem Humor. Eine junge Frau kommt nach Hause und muss feststellen, dass in ihre Wohnung eingebrochen wurde. Zusammen mit ihrem Nachbarn beginnt sie, die Einbrecher zu jagen. Eher schon kann man den außer Konkurrenz gezeigten Spielfilm »Beatriz at Dinner« von Miguel Artreta wie ein erstes Bild der Trump-Ära sehen, obwohl die Dreharbeiten im November längst abgeschlossen waren. In dieser Komödie trifft eine im Gesundheitswesen beschäftigte mexikanische Einwanderin bei einem Abendessen auf einen selbstgefälligen und gnadenlosen Milliardär. Warmherzig und humorvoll schildert der Dokumentarfilm »Dina« von Antonio Santini und Dan Sickles die Liebesgeschichte eines ungewöhnlichen Paares, das sich trotz neurologischer Beeinträchtigungen und belastender Erfahrungen nicht davon abhalten lässt, ein neues Glück miteinander zu suchen. Der Film gewann in der Dokusparte den Preis der Jury.
Der aktuelle Rassismus in den USA war ein Thema, das mehrere Filme aufgriffen. So schildert beispielsweise der Dokumentarfilm »Whose Streets?« (Sabaah Folayan) aus der Perspektive der afroamerikanischen Aktivisten die Unruhen vor zweieinhalb Jahren in Ferguson, nachdem ein junger Schwarzer von einem weißen Polizisten erschossen worden war. In diesem Zusammenhang steht auch der Dokumentarfilm »The Force« (Peter Nicks). Am Beispiel der Polizei in Oakland betrachtet der Film das Funktionieren demokratischer Institutionen. Nach den Ereignissen in Ferguson war in Oakland die Forderung nach einer Reform der Polizei erhoben worden. Für seinen im Stil des Cinéma Vérité gedrehten Film wurde der Regisseur mit dem Preis für die beste Regie im Dokumentarfilm ausgezeichnet. Einen ungewöhnlichen Blick auf die Geschichte nach 1945 wirft die afroamerikanische Regisseurin Dee Rees in ihrem neugierig erwarteten Spielfilm »Mudbound« (USA 2016). Mit Schauspielern wie Carey Mulligan, Garrett Hedlund, Jason Clarke, Jason Mitchell hervorragend besetzt, erzählt der Film von zwei Amerikanern unterschiedlicher Hautfarbe und ihren Familien im Süden der USA. Beide junge Männer haben im Zweiten Weltkrieg als Soldaten in Europa gekämpft. Nach Hause zurückgekehrt, finden sie nicht mehr in die alte Gesellschaftsordnung zurück. Der eine versucht, sein Kriegstrauma im Alkohol zu ertränken. Der andere erträgt die rassistischen Diskriminierungen nicht mehr, denen er ausgesetzt ist. Nicht immer gelingt es der Regisseurin, die gewaltige Geschichte in eine subtile Filmsprache umzusetzen. Aber es wurde viel über den Film diskutiert.
Geopolitische Themen waren vor allem bei den Dokumentarfilmen zu finden, so etwa in »Die letzten Männer von Aleppo« , der den Zuschauern das Elend des Syrienkrieges vor Augen führt und den großen Preis der Jury für den besten Dokumentarfilm bekam. Im internationalen Wettbewerb führte der ebenfalls ausgezeichnete »The Nile Hilton Incident« (Schweden/Deutschland/Dänemark, 2016, Tarik Saleh) nach Ägypten. Vor dem Hintergrund des Umbruchs 2011 beleuchtet der im Noir-Stil gehaltene Film über einen mysteriösen Mord die Polizeikorruption in der Ära Mubarak.
»Call Me by Your Name« von Luca Guadagnino (»A Bigger Splash«) fand wegen seiner atmosphärischen Dichte und der mediterranen Landschaftsaufnahmen Anklang. Der Film erzählt von der leidenschaftlichen Affäre zweier Amerikaner im Italien der 80er Jahre, einem siebzehnjährigen Jungen und einem jungen Wissenschaftler. Aus Deutschland lief Helene Hegemanns »Axolotl Overkill« im internationalen Spielfilmwettbewerb (im letzten Jahr war Nicolette Krebitz' »Wild« dabei). Hegemanns Film über das wilde Leben einer jungen Frau in Berlin gewann in Sundance den Preis für die beste Kamera (Manuel Dacosse). Berlin war auch Schauplatz des Entführungsdramas »Berlin Syndrome« der Australierin Cate Shortland (»Lore«). Mit einem Preis ausgezeichnet wurde der deutsche Animationskurzfilm »Kaputt« (Volker Schlecht, Alexander Lahl) über das zentrale Frauengefängnis Hoheneck der ehemaligen DDR.
Die Auswirkungen des Machtwechsels in den USA machten sich auch beim Sundance Festival bemerkbar. Am dritten Festivaltag hatten sich in Park City bei dichtem Schneetreiben Tausende zum Protestmarsch gegen den neuen Präsidenten versammelt, darunter auch bekannte Schauspielerinnen wie Kristen Stewart und Laura Dern. Als am 29. Januar in Park City die Preise verliehen wurden, hatte Trump gerade seinen Einreisestopp gegen Muslime aus sieben Ländern verhängt. Die geschäftsführende Direktorin des Sundance Institutes, Keri Putnam, unterstrich die Solidarität des Festivals mit den davon betroffenen Filmschaffenden und erntete anhaltenden Beifall. Sie kritisierte die Regelung als Menschenrechtsverletzung und betonte, dass sie auch den Werten von Sundance fundamental widerspreche.
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