Megacities: Kurzfilmtage Oberhausen
»Amor e outras construções ou Uma boca/que abarcasse/tanto cu« (2013)
Die Oberhausener Kurzfilmtage sind die wichtigste Veranstaltung zur kurzen Form in Deutschland. Bei der 62. Ausgabe beeindruckten vor allem Nebenreihen
»El pueblo – Das Volk« war der Titel einer kundig kuratierten Reihe lateinamerikanischer Kurzfilme, die bei den 62. Oberhausener Kurzfilmtagen neben den traditionellen internationalen und deutschen Wettbewerbsprogrammen, den Kinderkurzfilmen, Musikvideos und Künstlerwerkschauen viel Publikumsinteresse fand.
Was verstehen lateinamerikanische Filmemacher heute in einer unübersichtlichen Gemengelage der ökonomischen Krisen und Machtkämpfe ihrer korrupten Eliten unter dem Begriff »Volk«? Aus welchen lokalen Initiativen, Kämpfen und Diskussionen speist sich ein postheroischer neuer Politikbegriff? Der argentinische Filmkenner Federico Windhausen zeigte eine Fülle interessanter Beispiele, bot historische Vergleiche und stellte die Frage nach einer neuen politischen Bewegung, die nicht mehr wie das Kino von Fernando Solanas auf sozialistisches Pathos zielt, sondern bei der Perspektive persönlicher Erfahrungen, kommunaler Gemeinschaften und politisch-künstlerischer Interventionen ansetzt. Windhausen zeigte auch historische Filme, etwa über die Reißbrett-Utopie der neuen brasilianischen Kapitale Brasilia und die tatsächlichen städteplanerischen und soziologischen Probleme, die sich für die Bewohner, vor allem die aus der Stadt verdrängten Bauarbeiter, ergaben. Neben vielen anderen anregenden Aspekten warf die Reihe Schlaglichter auf die Situation lateinamerikanischer Mega-Städte zwischen Gentrifizierung, Armutsverdrängung und Autowahn. So sammelten Filmemacher aus São Paulo Beispiele für die Umnutzung des städtischen Raums als Parking Lofts. Sie dokumentierten Quartiere, in denen Investoren zwischen Abriss und Neubebauung auf abgeräumten Grundstücken Parkplätze vermieten, in einer alten Villa großbürgerlichen Zuschnitts sogar über Rampen zugängliche Plätze in der Beletage.
Den chinesischen Maler und Animationsfilmer Sun Xun, einen der in Werkschauen porträtierten Künstler der Kurzfilmtage, treibt die Auseinandersetzung mit den Lügengebilden der Partei-Ideologie seines Landes um, die die Differenz zwischen Glauben und Wissen, Vernunft und Mythos auszulöschen versucht. Seine Kurzfilme, oft auf Wandzeitungen gepinselte schwarze figürliche Umrisse und rote Schriftzeichen, wirken wie quälende Albtraum-Jagden durch ein Vorbewusstes, das vor Parolen Zuflucht sucht. Seine Filme stellen unbeirrt all die Sinkstoffe der Kulturrevolution in den Köpfen der Nachgeborenen zur Diskussion, einleuchtender als seine großformatigen Papierbilder in der begleitenden Ausstellung, die auf deutsche Geschichtsbilder anspielen, indem er in einer Kunstaktion bundesdeutsche Zeitungen von 1968 übermalte.
Den Hauptpreis des Internationalen Wettbewerbs gewann die junge Schweizer Filmemacherin Louse Carrin mit einem semidokumentarischen Blick auf das Lebensgefühl zweier Prostituierter in Genf: »Venusia«. Chefin und Freundin, die eine ganz Geschäftsfrau, die andere auf Pausen und Ausbruch aus dem Job erpicht, sitzen in tableauartigen Einstellungen im Raucherzimmer des Edelbordells Venusia beisammen und plaudern freundlich, ohne voyeuristische Avancen ans Publikum, über ihren Interessenkonflikt. Eine harmlose Petitesse aus einem wenig überzeugenden Wettbewerb.
Einigen Ortserkundungen aus dem nordrheinwestfälischen Wettbewerb wünsche ich Publikum: So machte sich Johannes Klais in »Erfrischt einzigartig« in einen vom industriellen Niedergang gezeichneten Stadteil von Hagen auf, um die dort noch zahlreich hinterbliebenen Kaugummi-Automaten zu dokumentieren. Sein Film ist ein melancholisches Denkmal für die kleinen Apparate, aber auch ein Porträt ansprechender Sozialtypen, die die aufgestellte Kamera für einen Moment individueller Selbstdarstellung nutzen und über sich erzählen.
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