Interview mit dem kanadischen Regisseur Atom Egoyan über seinen neuesten Film »Remember«

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»Regisseur Atom Egoyan« (Mitte)

Man muss eine Leidenschaft für die Menschen empfinden, mit denen man arbeitet

Mister Egoyan, in »Remember« gibt es thematische Parallelen zu Ihren früheren Filmen: Erinnerung, Trauerarbeit. Nach »Captive« ist dies Ihr zweiter Thriller in Folge. Hat sich Ihre Beziehung zu dieser Art von Geschichtenerzählen in Genremustern verändert?

Ich erinnere mich noch, als mein früher Film »Family Viewing« beim Festival von Toronto mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde. In der Jury saß der Filmkritiker von 'Le Monde', Louis Marcorelles, der auf die Frage, warum sie diesem Film den Preis gegeben haben, ob es wegen der Erforschung von Technologie und Gedächtnis sei, antwortete, Nein, für ihn sei das ein guter Thriller. Als ich in »Captive« die Autoverfolgungsjagd drehte, erinnerte ich mich an »Family Viewing«, wo ich das einzige Mal zuvor eine Verfolgungsjagd inszeniert hatte - am Ende gibt es eine Sequenz, in der der Vater durch die Hotelflure läuft, um die Großmutter zu finden und die Kamera mit ihm rennt. Auch damals ging es um das Gefühl, dass etwas verborgen wird, nach etwas gesucht wird. »Remember« ist ein Thriller, aber einer mit einer sehr langsam abbrennenden Lunte, man weiß nicht, worum es geht. Auch diese alten Männer passen irgendwie so wenig zu einem Thriller wie die Vorstellung eines Jungen, der versucht, seine Großmutter aus einem Pflegeheim zu entführen. Aber in vielen der Filme sucht jemand nach jemandem, und die Intensität der Suche bestimmt das Genre. Wenn das bedrohlich ist für eine der Hauptfiguren, dann wird es automatisch ein Thriller. Wir sorgen uns um Zev, weil er so zerbrechlich erscheint und weil er mit Täuschungen umgehen muss.

Auch »Exotica« wurde von Miramax seinerzeit als Thriller verkauft - schauen Sie Sich nur einmal den Trailer auf You Tube an. Ich war seinerzeit dagegen, denn ich hatte den Eindruck, das würde den Film in unangemessener Weise präsentieren, andererseits hatten sie Recht, das war schon eine Möglichkeit, Leute ins Kino zu bringen. Der Junge findet da im Film ja früh einen Revolver, bei dem aber nie der Abzug betätigt wird. Im Trailer allerdings wird immer wieder auf den Revolver geschnitten und aus dem Off hört man einen Schuss (den es im Film nicht gibt).

Ist das Ende von »Remember« weniger überraschend, wenn man den Film ein zweites Mal sieht?

Es gibt sehr eindeutige Hinweise im Film, etwa wenn er den Neonazi erschießt. Da sieht man, dass er weiß, wie er mit einer Waffe umzugehen hat.

Es gibt auch eine Reihe von Momenten, die komische Qualität haben, etwa der Uniformierte, der beim Anblick von Zevs Waffe meint, der würde ihn an seinen eigenen ersten Revolver erinnern.

Ja, diese sardonische Qualität hat mir am Drehbuch gefallen.

Christopher Plummer war für die Hauptrolle bereits gesetzt, als Ihnen das Drehbuch zur Verfilmung angeboten wurde. Glücklicherweise schätzen Sie seine Arbeit. Wäre es anders gewesen, wie wären Sie dann mit diesem Dilemma umgegangen?

Man muss schon eine Leidenschaft für die Menschen empfinden, mit denen man arbeitet. Normalerweise schreibe ich ja auch meine Drehbücher selber, aber wenn mir ein Stoff angeboten würde mit einem Schauspieler, von dem ich denke, dass er nicht der Richtige ist für die Rolle, würde das nicht funktionieren, denn das würde er beim Drehen merken. Er ist vor allem ein bemerkenswerter Bühnenschauspieler, der sich mithilfe seiner Technik ganz auf das Jetzt konzentrieren kann. Ich wusste das, da ich in »Ararat« bereits mit ihm gearbeitet hatte. Alles, was er will, ist, dass es beim ersten Take hinhaut.

Jürgen Prochnow haben wir lange nicht mehr gesehen…

Bei allen drei deutschen Figuren, besonders aber bei seiner, war es wichtig, dass die Darsteller glaubhaft einen Deutschen verkörperten, der seit vielen Jahren in den USA lebt. Insofern war er perfekt. Ich habe auch in gewisser Weise eine lange Beziehung zu ihm, denn ich habe ihn zuerst in den siebziger Jahren in »Die Konsequenz« gesehen, dem ersten Film, der sich damals mit dem Thema Homosexualität beschäftigte. Damals verfasste ich eine Besprechung des Films, die sich besonders mit seiner Darstellung beschäftigte.

Sie haben Wagners "Walküre" an der Oper inszeniert und in »Remember« kommt mehrfach seine Musik vor…

Wenn das Taxi sich am Ende dem Haus nähert, haben wir "Siegfrieds Thema" in den Score von Mychael Danna hineingewoben. Das Haus am Ende hat ja etwas von einem Lebkuchenhaus, wie eine deutsche Fantasie, die dieser Mann in Lake Tahoe hat wiederauferstehen lassen.

Als ich mir Kritiken zu Ihren letzten Filmen anschaute, hatte ich den Eindruck, dass viele Kritiker, die Ihre früheren Arbeiten schätzen, Probleme mit Ihren mehr Genre-bezogenen Filmen haben: sie schreiben, dass die weniger komplex sind. Lässt sch das nur damit erklären, dass Zuschauer (und manchmal auch Kritiker) von einem Regisseur erwarten, dass er immer dasselbe macht?

Wenn ich mir meine frühen Filme anschaue, dann sind das sehr persönliche Arbeiten, in die viele meiner eigenen Erfahrungen einflossen, speziell in »Exotica« und »The Sweet Hereafter«. Ich liebe diese Filme, aber ich möchte mich nicht wiederholen. Bei »Captive« habe ich den Online-Kommentaren bei Amazon Prime entnommen, dass viele Menschen nie zuvor einen meiner Filme gesehen hatten. »Captive« sahen sie, weil es ein Thriller mit Ryan Reynolds ist. Vielleicht wurden sie dadurch in diese Welt hineingezogen, die sie anderenfalls nie kennen gelernt hätten. »Captive« bot eine interessante Möglichkeit, dem Vergehen von Zeit auf den Grund zu gehen, denn die Beziehungen waren so statisch, und bei »Remember« war die Hauptfigur so originell – und mit Christopher Plummer konnte ich das herausarbeiten. Bei »The Devil’s Knot« wiederum faszinierte mich die Tatsache, dass die Geschichte keine Auflösung hatte.

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