Filmfestival von Venedig: Geschichte wird gemacht
»Jackie« (2016)
Natalie Portman verkörpert Jaqueline Kennedy in »Jackie« und setzt einen letzten Höhepunkt zu den 73. Filmfestspielen von Venedig. Kurz vor Ende des Festivals gibt es ungewöhnlich viele Favoriten für den Goldenen Löwen
Eine sehr bekannte Frau, die gleichzeitig keiner wirklich kannte – so beschreibt der Regisseur Pablo Larraín die Heldin seines Biopics »Jackie«, das er nun unter viel Applaus in Venedig vorstellte. Natalie Portman verkörpert darin Jackie Kennedy in der vielleicht schwersten Woche ihres Lebens.
Eindringlich, aber aus ungewöhnlicher Perspektive stellt Larrain in »Jackie« die bekannten historischen Ereignisse nach und zeigt sie damit in einem neuen Licht. Zugleich lieferte er dem 73. Filmfestival von Venedig einen Höhepunkt in den letzten Wettbewerbstagen, weshalb dem Film auch große Chancen auf einen der Preise der am Samstag zu Ende gehenden Filmfestspiele eingeräumt werden.
Jackie Kennedys Status als Ikone macht der Film bereits in einer der ersten Szenen bewusst, in denen man sieht, wie sie jenes berühmte rosa »Pillenschachtel-Hütchen« aufsetzt, das ihr rosa Wollkostüm mit den schwarzen Bündchen so perfekt ergänzt. Fast reflexhaft begreift man, dass dies der Tag der Ermordung ihres Gatten John F. Kennedy ist, der 22. November 1963.
Pablo Larraín reinszeniert in seinem Film zahlreiche Foto- und Filmaufnahmen rund um dieses Ereignis, die sich dem kollektiven Gedächtnis eingeprägt haben, von der Ankunft am Flughafen in Dallas, über die Attentatsszenen bis zur eiligen Einschwörung des Vice-Präsidenten Lyndon B. Johnson im Flugzeug. Aber er verleiht ihnen gleichzeitig einen neuen Twist, indem er die Aufmerksamkeit auf Jackie Kennedy und ihr besonderes Drama lenkt.
Als First Lady eines toten Präsidenten sieht sie sich augenblicklich ihres Amtes beraubt, wird an den Rand gedrängt und steht doch gleichzeitig noch im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. In Zeitsprüngen, die gerahmt werden von dem Interview, das sie eine Woche nach dem Attentat einem »Life«-Reporter (Bily Crudup) gab, und einem Gespräch mit einem Seelsorger (John Hurt), versucht Larrain eine Annäherung an die »berühmte Unbekannte«.
Natalie Portmans Auftritt ist das, was man eine »Tour de Force« nennt: Sie versucht, tongenau die schwierige Balance darzustellen zwischen Schüchternheit und Unerfahrenheit im Umgang mit den Medien, die im Fall von Jackie Kennedy keineswegs gleichzusetzen waren mit mangelndem Selbstbewusstsein.
Leider aber löst der Film zuletzt nicht wirklich ein, was er verspricht: Am Ende geht es statt um ihr Leben doch wieder darum, die historische Größe von John F. Kennedy im Schicksal seiner Gattin zu spiegeln. Als Favoritin auf einen der Auszeichnungen des Festivals hat sich Portman aber fest etabliert.
Damit macht sie zwei anderen starken Kandidatinnen auf den Schauspielerinnen-Preis Konkurrenz. Amy Adams spielt in gleich zwei sehr gut aufgenommen Filmen: Sie ist in dem Science-Fiction-Thriller »Arrival« und der Literaturverfilmung »Nocturnal Animal« zu sehen. Die Französin Judith Chemla spielt in »Une vie«, einem Film von Stéphane Brizé über den Schriftsteller und Journalisten Guy de Maupassant, eine vom unaufhaltsamen gesellschaftlichen Abstieg bedrohte Landadlige.
Das Feld der Favoriten für den Goldenen Löwen stellt sich in diesem Jahr breiter als sonst dar, was einen recht starken Wettbewerbsjahrgang verrät: Zu den beliebtesten Kandidaten zählen sämtliche drei amerikanische Beiträge, sowohl Damien Chazelles den Lido verzauberndes Retro-Musical »La La Land«, als auch Tom Fords bestechend stylisches Beziehungsdrama »Nocturnal Animals« und Dennis Villeneuves hochphilosophische Alien-Invasion »Arrival«. Sehr gut kam auch die argentinische Farce »El ciudadano illustre« an. Sie handelt von einem Schriftsteller, der nach seinem Nobelpreisgewinn in sein Heimatstädtchen in der Provinz zurückkehrt.
Die Kritik bevorzugt Stéphane Brizés strenge Literaturverfilmung »Une vie«, während es gut vorstellbar scheint, dass sich die Jury mit der deutschen Schauspielerin Nina Hoss und unter Vorsitz des britischen Regisseurs Sam Mendes auch für ein gewagteres und abseitigeres Werk wie »El cristo ciego« begeistern könnte, den Debütfilm eines chilenischen Regisseurs, der mit Spiritualität und Authentizität besticht.
Zuletzt lieferte der 79 Jahre alte russische Regieveteran Andrei Konchalovsky mit seinem Faschismus-Drama »Paradies« einen Kandidaten von Gewicht: Mit einem bestechend klar und fesselnd inszeniertem Schwarzweiß-Drama um Opfer und Täter gelang es ihm, im Publikum eine kaum erlebte Stille herzustellen.
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