Filmfestival von Venedig: Die Löwenjagd beginnt
Am Mittwoch wird zum 73. Mal das Internationale Filmfestival von Venedig eröffnet. Was sind die Filme, auf die man wartet?
Die Eröffnungsparty ist aus Respekt vor den Erdbebenopfern in Mittelitalien abgesagt worden. Doch das Filmfestival von Venedig hat vor seinen Konkurrenten Cannes und Berlin den großen Standortvorteil, dass die Lagunenstadt auch ohne Party noch einen glamourösen Hintergrund abgibt. Zumindest am Anfang dieser 73. Filmfestspiele von Venedig wird sich nun die Aufmerksamkeit etwas weniger auf den üblichen Auftrieb der Stars und Sternchen richten und mehr auf das Filmprogramm als solches. Und das verspricht eines der stärksten der letzten Jahre zu werden.
Mit großen Erwartungen lockt allein schon das Nebenprogramm, in dem nicht weniger versprochen wird als ein Jesus in »virtual reality«, ein amerikanischer Papst im Vatikan und die Wiederbelebung der Untoten. So wird George A. Romeros Zombieklassiker »Dawn of the Dead« aus dem Jahr 1978 in neu restaurierter Fassung gezeigt. Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino stellt die ersten Folgen seiner vom Privatsender Sky produzierten TV-Miniserie »The Young Pope« vor, in der Jude Law den ersten – fiktionalen – Papst aus den USA verkörpert (und Diane Keaton eine befreundete Nonne). Und mit einer 40-minütigen Preview auf »Jesus VR – The Story of Christ« werden Festivalbesucher die Möglichkeit haben, den ersten Spielfilm des bislang nur im Computerspielbereich eingesetzten »Virtual Reality«-Format vor zu sichten.
Aber das sind nur Nebenereignisse in einem Programm, das zumindest in der namhaften Auflistung von Regisseuren und Schauspielern eine Kette von Highlights zu werden verspricht. Zu den Filmen, auf die man wartet, gehört zum Beispiel das neue Werk von »Himmel über Berlin«-Regisseur Wim Wenders, »The Beautiful Days of Aranjuez«. Wenders hat diesmal mit französischen Schauspielern (Reda Kateb, Sophie Semin) gedreht und das Drehbuch wie einst beim »Himmel über Berlin« zusammen mit Schriftsteller Peter Handke verfasst. Erneut setzt Wenders das 3D-Format ein, das er im Dokumentarfilmerfolg »Pina« für sich entdeckt hat. Allerdings wendet er es hier gegen die Konvention für ein eher statisches Beziehungsdrama an, das ein Gespräch zwischen einem Mann und einer Frau zeigt.
Statt mit neuen Formaten experimentiert der französische Autorenregisseur François Ozon mit alten: Sein Drama »Frantz« handelt von einer Familie im Spannungsfeld der feindlichen deutsch-französischen Beziehungen unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Ozon hat den Großteil des Films, bei dem die deutschen Stars Ernst Stötzner und Paula Beer mitspielen, in Schwarzweiß gedreht, das er aber mit farbigen Einsprengseln »auffrischt«.
Neuland betritt dagegen der Kanadier Denis Villeneuve, der es mit seinem letztjährigen Drogenkriegsfilm »Sicario« auf immerhin drei Oscar-Nominierungen brachte. Mit »Arrival« präsentiert er nun seinen ersten Science-Fiction-Film. Darin spielt Amy Adams eine Sprachwissenschaftlerin, die die Kommunikation zu den gelandeten Außerirdischen ermöglichen soll.
Der Chilene Pablo Larraín (»Tony Manero«, »No!«) mag bislang nur unter Kennern des lateinamerikanischen Kinos als verheißungsvolle Marke gelten. Das kann sich bald ändern, denn am Lido läuft mit dem Jaqueline-Kennedy-Biopic »Jackie« sein erster englisch-sprachiger Film. Natalie Portman spielt die Titelrolle – wofür ihr bereits Oscar-Chancen ausgerechnet werden.
Tatsächlich hat hat sich Venedig in den letzten Jahren als ideales Sprungbrett für Filme mit Oscar-Ambitionen erwiesen. Schließlich feierte mit »Spotlight« und »Birdman« zwei Jahre in Folge der spätere Oscargewinner seine Premiere hier. Auch der Festival-Eröffnungsfilm aus dem Jahr 2013, Alfonso Cuaróns »Gravity«, schnitt mit zehn Nominierungen nicht schlecht ab. Kein Wunder also, dass es »Mostra«-Direktor Alberto Barbera gelungen ist, wieder einige der interessantesten und preisverdächtigsten Regisseure an den Lido zu locken.
Bereits als heißer Oscarfavorit wird der Eröffnungsfilm »La La Land« gehandelt, der kein Remake eines Einzelfilms sein möchte, sondern das Remake eines ganzen Genres: des Musicals. Regisseur Damien Chazelle hat mit »Whiplash« bewiesen, dass er von der Verbindung von Musik und Film etwas versteht und lässt Ryan Gosling und Emma Stone hier zusammen singen und tanzen. Da könnte ein Kinotraum wahr werden.
Mit Derek Cianfrance tritt ein weiterer amerikanischer Independent-Regisseur im Wettbewerb an, auf den sich die Erwartungen richten. Schließlich hat Cianfrance mit »The Place Beyond the Pines« Ryan Gosling zum Durchbruch verholfen. In seinem neuen Film »The Light Between the Oceans« spielen Michael Fassbender und Alicia Vikander ein Paar, das einen Säugling findet und ihn als ihr eigenes Kind aufzieht. Vorschusslorbeeren werden auch schon für die zweite Regiearbeit des Modemachers Tom Ford ausgeteilt, der in der Isherwood-Verfilmung »A Single Man« Colin Firth die beste Rolle seiner Karriere verschafft hat. Auch Fords »Nocturnal Animals« beruht wieder auf einer literarischen Vorlage, dem Roman »Tony und Susan« von Austin Wright, der mit seiner Erzählung-in-der-Erzählung gleich ein Doppelset von Stars aufbietet: Sowohl Amy Adams als auch Isla Fisher, Jake Gyllenhaal neben Michael Shannon und Aaron Taylor-Johnson.
Aber auch den Regieveteranen wird am Lido noch ein Platz an der Sonne eingeräumt. Mel Gibson versucht die Image-Rehabilitation mit der ersten Regiearbeit seit seinem »Apocalypto« von 2006. Im WWII-Drama »Hacksaw Ridge« spielt Andrew Garfield einen Kriegsdienstverweigerer, der als Sanitäter an die Front geht – nach einer wahre Geschichte. Der »Exjugoslawe« Emir Kusturica hat ebenso seit zehn Jahren keinen Spielfilm mehr gedreht und tritt nun mit »On the Milky Road« erneut an. Ein anderer osteuropäischer Altmeister, Andrej Konchalovskij, scheint dagegen mit zunehmenden Alter immer produktiver zu werden. Für »The Postman's White Nights« erhielt der 78-Jährige vor zwei Jahren in Venedig einen Silbernen Löwen, jetzt kehrt er mit »Paradise« zurück. Ein ähnliches spätes Karrierehoch erlebt auch der Amerikaner Terrence Malick, der im Rentenalter mehr Filme macht als noch als junger Mann und sein Opus Magnum »Voyage of Time« vorstellt, in dem es um nicht weniger als die ganze Welt und das All gehen soll.
Das 73. Filmfestival von Venedig läuft vom 31. August bis zum 10. September. Abschlussfilm wird Antoine Fuquas Neuversion des Westerns »Die glorreichen Sieben« sein, mit Denzel Washington in der Yul-Brynner-Rolle.
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