Interview mit Hubertus Siegert zu »Beyond Punishment«
Hubertus Siegert über die Entstehung und Wirkung seiner Dokumentation »Beyond Punishment«
Herr Siegert, Ihr Film ist nicht nur in den Kinos zu sehen, sondern auch in einer Reihe von Strafanstalten, den Auftakt dazu machte eine Vorführung bereits im April in Berlin-Tegel.
Das war eine große, positive Überraschung. Die hatten das gut vorbereitet, es waren zwar nur 25 Gefangene da, aber die haben diesen Film gebannt von vorn bis hinten verfolgt, mit großer Konzentration – Dokumentarfilme sehen sie da sonst nicht. Danach haben wir noch eine halbe Stunde sprechen können, dann mussten sie leider schon wieder zurück in ihre Zellen. In der halben Stunde war aber ein intensives Gespräch möglich. Im Kern haben sie sich identifiziert mit den Beteiligten, auch mit der Opferseite. Das Angebot des Gesprächs mit dem Gegenüber haben sie total ernst genommen, keiner hat gesagt, das hielte er für Unsinn, eher war die Tendenz, das ist schwer, weil wir dabei nicht unterstützt werden. Wenn das bundesweit läuft, wird man sehen, ob sich vielleicht nicht der eine oder andere Kreis daraus ergibt; individualpsychologisch muss man das noch mehr unterstützen.
Die Entscheidung über solche Vorführungen fällt die jeweilige Gefängnisleitung autonom?
Es liegt schon im Ermessen des jeweiligen Gefängnisleiters – wenn dagegen im Gefängnis ein Filmteam dreht, muss er das schon genehmigen lassen. Es gab allerdings solche, die sehr reserviert reagiert haben, weil wir eben auch über die Landesministerien gegangen sind. Da kam aus Bayern die Antwort, dass sie darin keinen Bedarf sehen würden. Wenn wir eine Anstalt in Bayern gefunden hätten, hätten die es aber wohl trotzdem machen dürfen. In allen anderen Bundesländern gab es Gefängnisse, deren Leitung bereit war. Wir sind fast in jedem Bundesland, in Berlin gleich in fünf Gefängnissen - auf jeden Fall sehr viel mehr Knäste als wir Leinwände haben.
In Ihrem Beitrag zu dem Filmexperiment »24 Stunden Berlin« zeigten Sie den Tagesablauf eines Häftlings. War das die Initialzündung für »Beyond Punishment«?
Die Idee ist älter. Ich habe mich beschäftigt mit der Frage, wie kann man Gewalt bekämpfen ohne immer nur in Gewalt zu verfallen? Wo ist die Strafe am deutlichsten? Im Gefängnis bei Lebenslänglich. Da sind wir von morgens um 6.30 bis zum Einschluss um 22.00 Uhr mit einem Mann zusammen gewesen, der ein Totschlagsdelikt begangen hatte. Dann habe ich auch versucht, die Familie des Opfers kennen zu lernen, wir haben Ostern 2009 sogar gedreht, da war auch eine Bereitschaft da. Dann musste ich allerdings ein Jahr lang unterbrechen, um mich um die Finanzierung dieses Films zu kümmern. Und in diesem Jahr hat jemand in der Familie durchgesetzt, dass das unterbunden wird. Man muss mit dem Protagonisten wirklich monatlich reden, das war mir damals nicht bewusst. Bei jüngeren Tätern gibt es in der Regel immer noch eine größere Familie dahinter, die allerdings oft sehr ablehnend ist, weil es eine große Beschämung gibt.
Waren Sie überrascht, dass Sie das Konzept der "restorative justice" gerade in den USA gefunden haben und nicht eher in einem skandinavischen Land, wo der Strafvollzug liberaler ist?
Das ist paradox: dadurch, dass der Täter in den USA für immer weggeschlossen ist, ist der Sprung heraus eher möglich, weil die Ängste dadurch gebannt sind – die Opferseite hat das Gefühl, sie ist geschützt, die Täterseite hat keine Perspektive. Dadurch ist eher eine Bereitschaft da, miteinander etwas anzufangen. Nur die Opfer dürfen sich übrigens an die Täter wenden, umgekehrt dürfen sich die Täter nur über einen Brief an das Justizministerium an die Opfer wenden. Diesen Brief bekommt die Opferseite erst dann ausgehändigt, wenn sie Bereitschaft an einem Dialog bekundet.
Was sie in Wisconsin zeigen, ist allerdings einer Privatinitiative zu verdanken. Hat das mittlerweile Auswirkungen gezeitigt, wurde es institutionell verankert?
Das muss man auch können. Das, was Janine Geski, eine ehemalige Richterin, dort macht, setzt schon eine große Persönlichkeit voraus, die man nicht immer findet. Im US-Justizministerium gibt es eine eigene Abteilung für Opferschutz, aus dieser Ecke kommen Initiativen. Die Durchführung obliegt dann letztlich Leuten, die angestellt sind, während die Circle-Arbeit Bestandteil der normalen Gefängnisarbeit ist. In Wisconsin wurde das von alten Damen ins Leben gerufen, die dann diese Richterin engagiert haben. Ich bin froh, dass das in weiten Teilen eine Privatinitiative ist, damit es fair bleibt und nicht wieder eine heimliche Bestrafung wird. Der Umdenkungsprozess in der Gesellschaft, um so etwas auf eine breite Basis zu stellen, fängt gerade erst an.
Wie sind Sie auf die drei Fälle, die im Film zu sehen sind, gestoßen?
Ich habe Selbsthilfeorganisationen aufgesucht, wir haben mit vielen angefangen zu drehen, am Ende blieben in New York Leola und Lisa übrig. Erst im Laufe der Zeit wurde klar, dass der Täter die Tat leugnet – aber das ist ja auch ein Problem der "restorative justice". Mittlerweile hat er aber begonnen, darüber nachzudenken, ob er nicht doch gestehen will, wenn er dafür irgendwie Hafterleichterung bekäme. In Norwegen gibt es eine Stiftung, initiiert von einer Mutter, die auf grausame Weise ihre Tochter verloren hatte. Darüber habe ich diesen Vater kennen gelernt und nach längeren Anläufen - das hat ein Jahr gedauert - war der Täter bereit, sich der Auseinandersetzung mit dem Vater zu stellen. Das bedeutete in so einem kleinen Land Überwindung, er ist eigentlich der Mutigste von allen. Ich hoffe, dass der Film ihm nicht schadet, er studiert jetzt. Nachdem ich einen Beziehungsmord in Norwegen hatte und eine Jugendrivalität in de Bronx, wollte ich in Deutschland eine andere Dimension haben, einen politischen Mord, weil der nicht nur die engeren Betroffenen angeht – die Hinterbliebenen der RAF-Morde sind alle hochunglücklich.
Sie haben mit mehr als diesen Dreien länger gedreht, als Sicherheitsnetz…
Das war nicht der Gesichtspunkt. Ich habe immer solange mit den Leuten gedreht, wie ich dachte, das wird was. Ich hatte keine Alternative, ich hatte nicht den Spielraum, auch nicht die Ressourcen für einen doppelten Boden. Ich war darauf angewiesen, dass die tatsächlich am Ende sagen, "Ja, was Du gedreht und montiert hast, finden wir so wichtig, dass wir uns trauen, damit in die Öffentlichkeit zu gehen, das ist wichtiger, als dass wir jetzt kritisieren, was uns an einzelnen Stellen nicht gefällt." Alle haben die finale Version gesehen und stehen dahinter.
Wie lange haben Sie insgesamt an dem Projekt gearbeitet, wie lange gedreht?
2006 war die Grundidee da, 2008 gab es erste Versuche. Das erste Interview, das im Film drin ist, stammt aus dem September 2011. Gedreht habe ich mit allen bis zum Mai 2014, wir hatten die Montage aber auch schon ein halbes Jahr vorher begonnen. Da musste ich auch immer einen Ausgleich finden zwischen dem, was ich für den Film brauchte und dem, was sie brauchten - manchmal musste ich sie dann bitten, einen bestimmten Satz noch einmal zu sagen. Man braucht natürlich auch eine Gestaltung, sonst würde das nicht funktionieren – die Eigendynamik, die die Mensche haben, findet ja nicht vor der Kamera statt. Ich glaube, das ging nur deshalb, weil wir für diese Idee etwas tun wollten. Ich habe übrigens noch zu allen regelmäßig Kontakt, alle ein bis zwei Monate.
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