Kritik zu Beyond Punishment

© Piffl Medien

2015
Original-Titel: 
Beyond Punishment
Filmstart in Deutschland: 
11.06.2015
L: 
103 Min
FSK: 
12

Anhand von drei Mordfällen geht der Dokumentarfilm von Hubertus Siegert der Frage nach, wie Gewaltverbrechen in das Leben von Tätern und Opferfamilien eingreifen, wie man mit Schuld und Verlust umgeht – »jenseits der Strafe«

Bewertung: 4
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 3)

Die Green Bay Correctional Institution ist ein Hochsicherheitsgefängnis in Wisconsin, vornehmlich für Gewaltverbrecher. In dieser Justizvollzugsanstalt kommen zweimal im Jahr Täter und Angehörige von Opfern zu einem Gesprächskreis zusammen. Den Kreis von rund 30 Teilnehmern leitet die pensionierte Richterin Janine Geske, reihum sprechen Verbrecher und Hinterbliebene – die allerdings nicht aus demselben Fall sind. Dass dieser Film nicht auf irgendwelche Sensationen aus ist, merkt man schon an diesen ersten Szenen: Es gibt keine aufsehenerregenden Eingeständnisse zu den jeweiligen Fällen, keine Tatdetails, eher allgemeine Erinnerungen, Zustandsberichte. Restorative Justice nennt man diesen Ansatz. Einmal spricht Lisa über eine Lehre, die ihr ihr Vater beigebracht hat: dass man die Menschen so akzeptieren muss, wie sie sind. Lisa und ihre Mutter Leola aus New York haben vor elf Jahren ihren Bruder und Sohn Darryl verloren, der in einem kleinen Supermarkt erschossen wurde. Sie repräsentieren eine von drei Umgangsformen mit dem Schmerz und dem Verlust, die Hubertus Siegert in seinem Dokumentarfilm vorstellt.

In Norwegen trifft er Erik, dessen sechzehnjährige Tochter von ihrem Freund in einem Anfall von Eifersucht getötet wurde. Stiva, der Mörder, kommt aufgrund der liberalen Strafgesetzgebung in Norwegen nach wenigen Jahren frei. Erik und seine Familie ziehen um, in einen anderen Teil der Stadt, weil Erik Angst hat, dem Mörder seiner Tochter zu begegnen. Und in Deutschland versucht Patrick von Braunmühl zu begreifen, warum ausgerechnet sein Vater von der RAF hingerichtet wurde. Im Untersuchungsgefängnis hat er sich mit Birgit Hogefeld getroffen, die allerdings danach zu keinem weiteren Treffen bereit war. Er trifft sich mit Manfred (Grashof), einer der Mitbegründer der RAF, der allerdings nicht in diesen Fall verwickelt war.

»Falls es zu einer Begegnung käme, stelle ich mir vor, dass man danach, jeder für sich, loslassen kann von dem, was einen umtreibt«, sagt Manfred einmal. Was über die Strafe hinausgeht, lautet der Titel des Films übersetzt. Siegert sucht nach den Gefühlszuständen jenseits von Strafe und Vergeltung, beobachtet, wie sich die Hinterbliebenen langsam mit der direkten Konfrontation mit dem Täter auseinandersetzen. Leola und Lisa zeigt er eine Videobotschaft des Täters (der die Tat immer noch abstreitet). »Er gehört nicht in den Knast, er gehört in die Hölle«, sagt die Mutter. Ihre Tochter sieht es differenzierter: »Mal ist man ein Opfer, mal ein Überlebender, mal kann man die Tat verstehen, mal hasst man ihn.« Aber vergeben fällt auch ihr schwer: »Ich kann das nicht. Es ist, als würde ich meinen Bruder verraten.«

Bei Erik kommt es nicht zum persönlichen Gespräch, obwohl Stiva, der Mörder, dazu bereit ist. Erik hat Angst, die Folgen der Tat ein zweites Mal zu durchleben. Man kann das durchaus verstehen. Über viele Jahre hat Siegert seine Protagonisten beobachtet, man merkt, wie auch Stiva an seiner Tat leidet und sich Manfred, der innerhalb der RAF eher der Fälscher denn der Killer war, sich Vorwürfe macht. Manfred weiß um seine Verantwortung. Es geht in Beyond Punishment um das Eingeständnis von Schuld  wie um die Versuche, eine Tat zu verstehen und sie zu vergeben. Der Film plädiert für den Dialog jenseits des Gerichtsverfahrens. Am Ende erzählt die Richterin Geske eine Geschichte von einem Opfer, das es nicht schafft zu vergeben. Und sie gibt die Antwort des Täters wieder: »Ich erwarte nicht, dass du mir das, was ich getan habe, vergibst. Aber falls du jemals dahin kommst, mir zu vergeben, musst du es mir nicht sagen. Geh auf einen Hügel und schau dir den Sonnenuntergang an, für uns beide.«

Verlust und Vergebung, Trauer und Wut: Es sind existenzielle Gefühle, die Siegert in seinem Film verhandelt. Da hätte man viel falsch machen können. Siegert hat sich für den – einzig richtigen – Weg der distanzierenden Beobachtung entschieden, ohne jede Musik, mit einem sparsamen, von ihm selbst gesprochenen, eher erzählenden Kommentar. Und er vertraut den ruhigen, genau gewählten Einstellungen, in denen seine Figuren stets der Mittelpunkt sind.

Meinung zum Thema

Kommentare

ich habe gestern abend auf 3sat diese Dokumentation gesehen und bin heute noch nachhaltig beeindruckt von der geballten Ladung Emotionalität und der ständigen Frage was würde ich tun in dieser Situation. Ich konnte alle Opfer sehr gut verstehen. Beiden Tätern war ich schwankend. Die Tochter Lisa sagte Vergebung wäre als würde sie ihren Bruder verraten. Das unterstreiche ich vollständig. Ich bin sehr beeindruckt. Stefan Eling

Ich habe den Film gesehen und für überaus lehrreich befunden! Am Film selbst habe ich keinerlei Kritik anzubringen; nur was die vielen, vielen Rechtschreibfehler in den Untertiteln anbelangt. Das muss doch bei einem solchen Projekt echt nicht sein. Es wirkt dilettantisch und zieht das ganze Niveau nach unten. Lassen Sie doch vor Fertigstellung besser nochmal einen Korrektor (ja, es gibt sie noch!) draufsehen. Rena Ueth

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