63. Filmfestival von San Sebastian
»Sparrows« (2015)
Das 63. Filmfestival in der baskischen Stadt Donostia–San Sebastián wartete in diesem Jahr mit vielen Highlights auf – im Wettbewerb triumphierte ein isländischer Film
Es ist eine kalte, feindliche Welt, die der isländische Regisseur Rúnar Rúnarsson in seinem »Sparrows« zeichnet. Der 16-jährige Ari wird aus Reykjavik von seiner Mutter zu seinem Vater geschickt, der in einem abgelegenen, heruntergekommenen Dorf an der Westküste Islands lebt. Dort hat Ari seine Kindheit verbracht, doch er will verzweifelt zurück in die Stadt zu seiner geschiedenen Mutter. Sein Vater, durchaus nicht unsympathisch gezeichnet, hat ein Alkoholproblem – wie überhaupt Drogen aller Art in dem Dorf eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen. Ari schlägt sich als Gelegenheitsarbeiter in der Fischfabrik durch, trifft seine Kindheitsfreundin wieder – und wird prompt von deren Freund verprügelt. Die Häuser, Autos und Menschen in diesem Dorf sind in keinem guten Zustand, und Sommer bedeutet auch, einen Parka zu tragen. Doch immer wieder zeigt Rúnarsson die Erhabenheit dieser kargen Landschaft mit ihren grünen Wiesen und Schneeflecken.
»Sparrows« war sicherlich das größte Highlight im variationsbreiten, mit vielen Überraschungen aufwartenden und äußerst ansprechenden Wettbewerb der 63. Filmfestspiele in der baskischen Stadt Donostia– San Sebastián. Dass die Jury diesen Film, den erst zweiten des Regisseurs, mit dem Hauptpreis des Festivals, der Goldenen Muschel, ausgezeichnet hat, kam nicht unerwartet.
Denn es war auch ein Festival mit Filmen, die aus verschiedenen Perspektiven das Phänomen »Familie« beleuchteten. In dem stillen, in CinemaScope und Schwarz-Weiß gedrehten chinesischen Beitrag »Xiang bei fang« (Back to the North) von Liu Hao versucht eine kranke, todgeweihte junge Frau, ihre Eltern zu einem neuen Kind zu bewegen. Und in »Amama« des baskischen Regisseurs Asier Altuna geht es um den Generationenkonflikt in einer Familie, die in einer abgelegenen Gegend in den Bergen einen Hof bewirtschaftet. Bewirtschaftet hat, muss man fast sagen, denn alle drei Kinder haben mit der Landwirtschaft wenig am Hut, und der autoritäre Vater kommt damit nicht zurecht. »Amama« ist ein Film über den Einbruch der Moderne in jahrtausendealte Traditionen, und immer wieder betont Altuna die Erdverbundenheit der Bergbewohner durch fast mystisch wirkende Naturaufnahmen. Das Land spielt auch eine große Rolle in »Sunset Song«: der Brite Terence Davies hat den gleichnamigen Roman von Lewis Grassic Gibbon verfilmt, die Geschichte einer jungen Schottin von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in den Ersten Weltkrieg, aufgewachsen in einer patriarchal strukturierten Familie.
Den vielleicht schrägsten Film des Wettbewerbs steuerte die Französin Lucile Hadzihalilovic bei: in »Evolution« leben Mütter mit ihren Kindern, allesamt Jungs gleichen Alters, in einem abgelegenen Dorf am Meer. Merkwürdige Medikamente bekommen die Jungs verabreicht, Injektionen in ihre Bäuche scheinen irgendwelche Wesen heranwachsen zu lassen. »Evolution« ist eine krude Mischung aus Horror und schräger Science- Fiction. Man kann diesen Film als Parabel auf den Eingriff der Wissenschaft in den Ablauf der Natur sehen – oder sich ganz dem Strom der grobkörnigen, beeindruckenden Nacht- und Unterwasseraufnahmen hingeben. Hadzihalilovic hat dafür den Spezialpreis der Jury und Manu Dacosse den Preis für die beste Kameraarbeit bekommen.
Auch »High-Rise« von Ben Wheatley kommt als Parabel daher – allerdings in big budget. Gewalt und Klassenkämpfe in einem in vielerlei Hinsicht aus den Fugen geratendem Hochhaus: Wheatley macht daraus ein alptraumhaftes, immer surrealer werdendes Endspiel. Einen Preis hat »High-Rise« zwar nicht bekommen, dafür hatte das Festival die Stars Sienna Miller, Tom Hiddleston und Luke Evans zu Gast – neben vielen anderen wie Emily Blunt oder Benicio Del Toro etwa, die ihren »Sicario« promoteten.
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