Interview mit Errol Morris

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"Ich habe diesen Film gemacht, weil ich entsetzt war von der Politik der Bush-Administration"

Die Memos von Donald Rumsfeld standen am Anfang Ihres Interesses. Waren die in seinen Memoiren abgedruckt?

Oh nein, aber dadurch wurde ich auf sie aufmerksam. Einige von ihnen hatte er auf seiner Website veröffentlicht, im Zusammenhang mit der Publikation seiner Autobiografie vor zwei Jahren. Die meisten von ihnen waren nicht veröffentlicht, aber er gewährte mir Zugang zu ihnen – was schon ziemlich ungewöhnlich war.

Wie haben Sie Rumsfeld kontaktiert? Haben Sie „The Fog of War“ erwähnt, den Film, den Sie über William McNamara gemacht haben?

Ich habe ihm in der Tat eine Kopie dieses Films geschickt. Er sagte mir (und ich weiß nicht, ob das stimmt), er hasse den Film – was aber offenbar keine Rolle spielte für seine Entscheidung, mir zu erlauben, einen Film über ihn zu machen.

Waren lange Vorgespräche notwendig, bevor Sie Ihre erste Interviewsitzung mit ihm abhalten konnten?

Nein, ich flog nach Washington, verbrachte einen Nachmittag mit ihm, und dann legten wir los.

Sind Sie im Verlauf der elf Sitzungen innerhalb eines Jahres gelegentlich zurückgekehrt zu einzelnen Themen, um zu sehen, ob er andere Antworten darauf geben würde?

Natürlich! Aber für mich liegt die Substanz des Films weniger in den Antworten, die er gibt als in denen, die er nicht gibt, in seiner Art, Fragen nicht zu beantworten. Sein Unfähigkeit/Versagen, irgendeine moralische Dimension in dem zu sehen, was er gemacht hat: der Vietnamkrieg: „einige Sachen klappen, andere nicht“; Memos zu Folterungen: „habe ich nie gelesen“; von Folter: „hat nie stattgefunden - wenn es stattgefunden hätte, wäre das interessant“; „Obama macht dasselbe wie wir“, „wir machten dasselbe wie Clinton.“ Ich würde das bezeichnen als ein tiefes Versagen, sich damit zu beschäftigen, was er getan hat, sich mit der Geschichte überhaupt zu beschäftigen. Darum geht es letztlich in dem Film.

War das etwas, was Sie schon sehr früh gespürt haben; oder aber hatten Sie lange Zeit die Hoffnung, Sie könnten diese Barriere durchbrechen?

Jeder benutzt diesen Ausdruck: „eine Barriere durchbrechen“, „die verborgene Realität zeigen“ oder „die Wahrheiten zu enthüllen“. Wenn man mich nach den Entscheidungen der Bush-Administration fragt, war für mich die allerschlimmste der Einmarsch im Irak – unnötig und unverlangt, mit der möglichen Konsequenz schlimmster Auswirkungen (von denen die meisten dann eingetreten sind). Es gibt noch einige Menschen, die stolz sind auf Amerika und an Amerika glauben. Nach meinem  Verständnis sollte Amerika nie Folter gutheißen. Als ich aufwuchs, demonstrierten wir gegen den Vietnamkrieg. Amerika ging aus dem Zweiten Weltkrieg als eine Art Champion hervor, was Menschenrechte anlangt. Und was haben wir jetzt? Das werfe ich diesen Menschen vor. Ich habe diesen Film gemacht, weil ich entsetzt war von der Politik der Bush-Administration – ich wollte verstehen, was sie sich dabei gedacht hatten: was glaubten sie erreichen zu können? Gab es irgendwelche Prinzipien, irgendwelche Moral hinter diesen Entscheidungen? Ich fürchte, dass die Antwort, mit der ich am Ende dieser Unternehmung da stehe, „nein“ lautet

Das heißt, auch in seinen Erinnerungen gibt es kein Nachdenken darüber?

Nein, dort wird die Politik nur nachträglich noch einmal als richtig etikettiert. Saddam war ein Monster, Saddam könnte Atomwaffen gehabt haben, er war eine Bedrohung für die Welt und wir haben Recht daran getan, ihn zu entfernen. Punktum!

Wenn Sie Ihre Filme vorbereiten, entwickeln Sie dann unterschiedliche Strategien der Befragung? Mir fiel bei diesem Film auf, dass Sie manchmal recht emotional werden, wenn Sie eine Frage stellen oder einen Kommentar abgeben. Das ist eher ungewöhnlich für einen Dokumentarfilm, normalerweise bleiben die Leute hinter der Kamera sehr ruhig, manchmal auch unsichtbar. Ich habe mich gefragt, ob das vielleicht eine bewusste Entscheidung von Ihnen war, um eine Reaktion bei ihm hervorzurufen?

Ich hatte das Gefühl, ich musste etwas tun. Es gibt einige Konventionen. In dem Filmgespräch nach der heutigen Vorführung fragte der Moderator, warum ich nicht stärker auf Konfrontationskurs zu Rumsfeld gegangen sei. Ich denke, es geht nicht um Konfrontation, sondern darum, herauszufinden, womit man sich beschäftigt. Keine der Verhörmethoden erwuchs aus Abu Ghraib – Schlesinger sagt das Gegenteil. Das habe ich Rumsfeld vorgelesen, woraufhin er sagte, damit würde er übereinstimmen, obwohl er gerade vorher gesagt hat, er würde damit nicht übereinstimmen. Die Standardtechnik, so vermute ich, wäre, dann zu sagen, „Aber, Sir, Sie haben gerade das Gegenteil behauptet!“ Aber das habe ich nicht getan. Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, ob ich das hätte machen sollen. Ich glaube, ich habe es nicht gemacht, weil ich diesen Moment liebe – ich würde ihn den „What the Fuck-Moment“ nennen, den „Was zum Teufel geht hier vor?-Moment“.

Würden Sie sagen, dass die Arbeit im Schneideraum bei diesem Film schwieriger war, weil es keinen Entwicklungsprozess gibt?

Ja, die Zuschauer lieben die ‚mea culpa’-redemption, selbst wenn sie nicht der Wahrheit entspricht. Sie schätzen es, wenn eine Figur Einsichten in sich vermittelt, wenn sie sagt, „Es tut mir leid, ich werde mich bessern, es wird nie wieder vorkommen, ich habe so viel daraus gelernt“ oder wenn McNamara diese Zeile aus Elliotts „Little Gidding“ (aus seinen vier Quartetten) zitiert, wo es darum geht, wieder an den Ort zurückzukommen, wo alles begann und ihn so zu sehen, wie man ihn das erste Mal sah. Es ist interessant, den Film mit „Fog of War“ zu vergleichen, für mich wurde „Fog of War“ unendlich missverstanden, denn für mich ist es ein sehr verzweifelter Film, übrigens ein Film über einen Mann, den ich mochte, oder zumindest respektierte – und von dem ich bewegt wurde. Er war ein Mann, der glaubte, dass die Welt durch Rationalität gemanagt werden konnte: wenn man nur genau genug über ein Problem nachdachte, könnte  man es lösen. Ich denke, Rumsfeld tut nur so, als ob, McNamara - und vielleicht hat das seinen Untergang besiegelt - war ein leidenschaftlicher, nachdenklicher Mensch. Wenn er am Ende sagt, „Rationalität wird uns nicht retten“, dann ist das beinahe wie eine Prophezeiung des Schlimmsten durch einen Mann, der alles gesehen hat. Das ist keine hoffnungsvolle Botschaft. Rumsfeld, ohne dass er es weiß, ist eine moderne Figur, wie aus einem Samuel Beckett-Stück oder einem Roman von ein Mensch,  der einfach so erfreut von sich selber ist, eine Art von Poseur – jetzt werde ich wirklich gemein, ein Teil von mir denkt, ich sollte gar nichts sagen und den Film für sich selber sprechen lassen, ein anderer Teil von mir ist wirklich verärgert: Diese Leute sprachen für mein Land, und das mag ich nicht, ich stimme nicht mit ihnen überein.

Hat Rumsfeld sich gegenüber Ihnen zum Film geäußert?

Er hatte jede Menge Kommentare: nehmen Sie dies raus, nehmen Sie das raus, Verbringen Sie nicht so viel Zeit mit dem Thema Folter.

Der Film ist dem im letzten Jahr verstorbenen Filmkritiker Roger Ebert gewidmet. Hat er sich früh für Ihre Filme eingesetzt?

Das kann man wohl sagen. Ohne ihn hätte ich keine Filmkarriere gemacht. Roger Ebert hat meinen ersten Film „Gates of Heaven“ gelobt und schließlich in seine Liste der zehn besten Filme, die je gedreht wurden, aufgenommen. Er war mehr als ein Champion, er war der Champion; auch Gene Siskel, sein Kollege in ihrer gemeinsamen Fernsehsendung. Der Film hatte seine Premiere beim New York Film Festival 1987. Damals streikten die Zeitzungen, niemand schrieb darüber. Anderthalb Jahre später besprachen die beiden ihn in gleich vier verschiedenen Sendungen. Roger präsentierte den Film bestimmt ein Dutzend Mal, mindestens drei Mal war ich dabei. Ich witzelte, jedes Mal wenn ich einen neuen Film machte, wie viel weniger er den mögen würde als „Gates of Heaven“. Ich verdanke ihm enorm viel.

Das Gespräch führte Frank Arnold

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