Kritik zu The Unknown Known
Errol Morris interviewt Donald Rumsfeld: Der Zuschauer erhält eine Fülle von Einblicken in eine außergewöhnliche US-amerikanische Politikerkarriere, aber nie lässt sich der ehemalige Verteidigungsminister unter George W. Bush hinter die selbstzufriedene Fassade gucken
Als Verteidigungsminister unter George W. Bush hatte Donald Rumsfeld nicht zuletzt die Aufgabe, Stimmung zu machen für die Kriege gegen den Irak und Afghanistan. Manche der Sätze, die er da im Zusammenhang mit der Frage, ob es die kriegsrechtfertigenden Massenvernichtungswaffen nun gab oder nicht, auf Pressekonferenzen und in Gesprächen mit einem charmanten Lächeln serviert, kann man sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen. Wie: »Das Fehlen von Beweisen ist nicht der Beweis des Fehlens.« Oder eben jenes legendäre Memo vom 4. 2. 2004 mit dem Titel »What you know«: »There are known knowns. There are known unknowns, there are unknown unknowns, and there are also unknown knowns, that is things you know that it turns out you did not.« Bei all diesen Dingen, von denen man weiß oder nicht weiß, dass man sie weiß oder nicht weiß, kann einem schon mal schwindlig werden.
Wie kaum ein anderer jongliert der Mann mit Worthülsen, um die unbequemen Wahrheiten, die in ihnen nisten, zu verschleiern und zu beschönigen, und wenn das nicht hilft, sie auch mal glatt zu leugnen. Professionell versteht es Rumsfeld in Anzug, weißem Hemd und Krawatte eine ebenso charmante wie unnahbare, staatsmännische Autorität auszudünsten, die jeden Widerspruch in einem Lächeln erstickt.
Selbst Errol Morris war da verblüfft, und der hat nun schon einiges gesehen und gehört, unter anderem im Gespräch mit »Dr.Death«, dem Konstrukteur von Hinrichtungsmaschinen und Holocaustleugner Fred A. Leuchter. Er selbst bezeichnet sich als detective director, als Regisseur, der zugleich auch Detektiv ist. Tatsächlich hat er nicht nur Geschichte und Philosophie studiert, sondern auch eine Weile in einer Detektivagentur gearbeitet: »In meinen Filmen gehe ich meiner eigenen Verwunderung auf den Grund, über das, was die Menschen sind, mich eingeschlossen«, sagt Morris, »und warum sie tun, was sie tun.«
Seit bald dreißig Jahren rückt er der dokumentarischen Wahrheit jetzt schon mit einer am Werbe- und Spielfilm geschulten, kristallklaren Ästhetik zu Leibe, die er in seinem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm The Thin Blue Line entwickelte, in dem er den Fall eines unschuldig verurteilten Polizistenmörders aufrollte und tatsächlich seine Begnadigung erwirkte. Der Mann weiß, wie man unbequeme Wahrheiten über die menschliche Fähigkeit zum Selbstbetrug ans Licht bringt. An Rumsfeld hat er sich dann aber doch die Zähne ausgebissen.
In The Unknown Known nimmt Morris vertraute Themen auf: Nach Robert S. McNamara in The Fog of War befragt er mit Donald Rumsfeld schon zum zweiten Mal einen amerikanischen Verteidigungsminister – er folgt den Stationen seiner politischen Karriere, mit besonderer Konzentration auf die Zeit im Pentagon 2001 bis 2006. Und so wie er zuletzt in Standard Operating Procedure hinter die Oberflächen der schockierenden Fotos schaute, die amerikanische Soldaten in Abu Ghraib von ihren Gefangenen gemacht haben, versucht er jetzt die zahllosen Memos zu durchdringen, die Rumsfeld in seinen Amtsjahren verfasst hat, unter anderem auch im Zusammenhang mit dem berüchtigten Terrorgefängnis. »Es müssen Millionen sein«, sagt Rumsfeld einmal, ein Meer aus Memos, für das Errol Morris in langen Zwischenschnitten auf die blaue See eine metaphorische Entsprechung findet, und deren wolkige Inhalte er mit einem Flug über den Wolken illustriert. Passagen aus dem mehrtätigen Interview mit Rumsfeld und eine Fülle von Archivmaterial aus Nachrichtensendungen, Zeitungsmeldungen und Pressekonferenzen verblendet er mit seinen persönlichen Einfällen zugleich interpretierend und infrage stellend zu einem vielschichtig lebendigen Puzzle voller Widersprüche. Die schnell dahin gesagten Sätze holt er immer wieder bildfüllend auf die Leinwand, als könne er sie unter dem Vergrößerungsglas auf ihren Bedeutungsgehalt prüfen.
Rumsfelds Vorliebe für lexikalische Begriffsklärungen nimmt er auf, indem er immer wieder Lexikoneinträge einblendet, zu Schlüsselbegriffen wie illegal, Terrorismus, Verteidigung, Schwäche, Hinrichtung oder Sündenbock. Und Danny Elfman, der Stammkomponist von Tim Burton, der bei Standard Operating Procedure Morris´ bisherigen Komponisten Philip Glass abgelöst hat, betont das Spielerische dieser Herangehensweise und setzt zugleich bedrohliche Horrorakzente.
Erschreckt hat Rumsfeld den Regisseur tatsächlich in besonderer Weise: »Wirklich gruselig fand ich sein Lächeln, nicht weil es unehrlich ist, sondern weil es das Lächeln eines Mannes ist, der unglaublich selbstzufrieden ist. Man erwartet den Klumpfuß eines Teufels zu sehen, doch was ich bekommen habe, ist ein machiavellistischer Manipulationskünstler, ein Handlungsvertreter für die Kriegspolitik von Bush. Anders als bei McNamara gibt es bei ihm keine tiefer gehende Reflexion über seine Rolle.«
33 Stunden Interview hat Morris gefilmt, erneut mit der von ihm selbst für die Episoden seiner Fernsehinterviewserie First Person konstruierten Kamera, dem sogenannten Interrotron – ein Wortspiel zwischen Interview und Terror. Durch einen Spiegel wird der Regisseur als direktes Gegenüber auf die Linse der Kamera projiziert, wodurch ein unmittelbarer Blickwechsel möglich ist und die zwischengeschaltete Technik in Vergessenheit gerät: Man bekommt das Gefühl, direkt in die Seele der jeweiligen Gesprächspartner zu schauen, doch selbst das Wundergerät kann Rumsfelds Panzer nicht durchbrechen, und wenn Morris ihn immer mal wieder auch von der Seite aufnimmt, spürt man seine Fassungslosigkeit angesichts eines Gesprächspartners, der völlig undurchdringlich bleibt.
Dabei hat er fast ein schlechtes Gewissen gegenüber diesem Mann, der sehr kooperativ, entgegenkommend, charmant und freundlich war, und hier erstmals Einblicke in sein riesiges Memo-Archiv gewährte. Morris lässt ihn aber auch nicht böswillig auflaufen, nimmt ihn als Gesprächspartner ernst, und reicht ihm doch den Strick, um sich selbst daran aufzuhängen. Bleibt die Frage, warum sich Rumsfeld überhaupt auf dieses Projekt eingelassen hat: »That’s a vicious question«, erwidert Rumsfeld, »I’d be darned if I knew.« Morris hat jetzt jedenfalls scheinbar genug, zumindest für eine Weile, denn sein nächstes Projekt ist ein Spielfilm, ein Thriller mit Bryan Cranston und Naomi Watts.
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