Kritik zu Wo ist Kyra?
Michelle Pfeiffer ganz ohne Glamour, als arbeitslose New Yorkerin, in einer schier ausweglosen Abwärtsspirale
Wüsste man nicht, dass Andrew Dosunmus neuer Film »Wo ist Kyra?« in Brooklyn spielt, würde man den schwer angesagten Stadtteil nicht erkennen. Es gibt keine flanierenden Hipster und keine szenigen Cafés. Stattdessen graue Straßen, eilige Menschen und düstere Spelunken. Die Sonne scheint nie, und man gewinnt den Eindruck, dass die Welt des Films geisterhaft zwischen steter Nacht und Dämmerung pendelt. Wie ein Geist wirkt auch Kyra, eine Frau in den Fünfzigern, mit ungesund porzellanhaftem Teint und fast beängstigend dünnen Gliedmaßen. Sie lebt in einem kleinen Apartment, wo sie sich liebevoll um ihre kranke Mutter Ruth kümmert. Zugleich sucht Kyra seit geraumer Zeit einen Job. Ein aussichtsloses Unterfangen. Nach Ruths plötzlichem Tod droht mit deren Rente die einzige Einkommensquelle wegzubrechen. Als durch einen bürokratischen Fehler die Pensionschecks weiterhin eintrudeln, schlüpft Kyra notgedrungen in die Rolle ihrer Mutter, um sie bei deren Bank einzulösen.
Kyra ist eine Paraderolle für Michelle Pfeiffer, die trotz ihrer naturgegeben glamourösen Aura immer auch als Allerweltsfrau überzeugen konnte. In »Wo ist Kyra?« ist sie in praktisch jeder Szene zu sehen, meist alleine oder ohne direktem Gegenüber. Ganz auf sich gestellt, übersetzt Pfeiffer Kyras zunehmende Verzweiflung mit nuancenreichem Minimalismus in Blicke und Gesten. Aber auch wenn Dosunmu und sein großartiger Kameramann Bradford Young (»Arrival«) sich in langen, ruhigen Einstellungen ganz auf Pfeiffers Kunst einlassen, mag man nicht von einer »Charakterstudie« sprechen. Denn dazu bleibt Kyra als Persönlichkeit zu abstrakt, ist sie als Mensch zu wenig greifbar. Wir erfahren, dass sie einen Mann und einen Job hatte. Mehr nicht. Auch als sie den Taxifahrer Doug kennenlernt (Kiefer Sutherland in einem unterfordernden Part), entwickelt sich weder Kyras Geschichte noch die Beziehung der beiden wirklich weiter. Stattdessen verwendet Dosunmu unmäßig viel Zeit auf Pfeiffers Maskerade als alte Frau, obwohl dies eigentlich nur ein Detail der Handlung ist. Kyras Verwandlungs- und Schauspielkunst scheint ihn mehr zu faszinieren als ihr Schicksal.
So tritt die Erzählung bald auf der Stelle, ohne dass diese Monotonie zum Thema würde. Vielmehr wirkt der ganze Film wie die Exposition für eine Geschichte, die dann nicht erzählt wird. Wenn die Kamera immer wieder extrem nah an Kyras schmales, fahles Gesicht herangeht, scheint Bradford Young eine Charaktertiefe zu suchen, die Drehbuch und Regie ihr nicht geben. In seinen New-York-Filmen »Restless City« (2011) und »Mother of George« (2013) hatte Dosunmu sich als poetischer Chronist urbanen Lebens am Rande der Gesellschaft gezeigt. Dagegen funktioniert »Wo ist Kyra?« nicht einmal als Brooklyner Milieustudie, weil kein Bezug zum Ort sich einstellt. Um wiederum universell zu sein, sind die Geschichte und die Figuren zu wenig verdichtet. Was bleibt, ist Michelle Pfeiffer, in einem Film, der auf frustrierende Weise unter seinem Potential bleibt.
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