Kritik zu Wie der Wind sich hebt
Mit diesem Film nimmt Hayao Miyazaki Abschied vom Kino. Er zieht jedoch keine Summe seines Werkes, sondern gibt ihm eine andere Richtung
Die Improvisation steht dem Animationsfilmer nur bedingt zu Gebot. Die langwierigen Arbeitsprozesse hindern ihn daran, der Eingebung eines Augenblicks zu folgen. Die Produktionszeit von Hayo Miyazakis Filmen betrug in der Regel fünf Jahre. Aber ihr Ende ließ er gern offen; ein Freiraum des Unvorhergesehenen sollte bleiben.
In die letzten fünf Jahre fielen 2011 der Tsunami und die Katastrophe von Fukushima. Es fällt schwer, beim Sehen von Wie der Wind sich hebt nicht daran zu denken. Die Sequenz, die das große Erdbeben von Kanto aus dem Jahr 1923 zeigt, war natürlich von Anfang an ein unverzichtbares Handlungselement. Aber womöglich erhielt sie eine neue Färbung und Dringlichkeit. Bis dahin waren Miyazakis Filme märchenhafte Warnungen, nun musste er eine ökologische Katastrophe als reale Erfahrung einbeziehen.
Im Zentrum steht diesmal keine kindliche Heldin, sondern ein Junge (später ein Mann), der die Naturgesetze wissenschaftlich erforscht. Wie der Wind sich hebt ist die Biografie von Jiro Horikoshi (1903–1982), der als Kind davon träumt, Pilot zu werden. Allein, seine Augen sind zu schlecht dafür. Seinen Traum verwirklicht er dennoch, indem er Flugzeugkonstrukteur wird. Seine Lebensgeschichte verschränkt Miyazaki mit Elementen aus einem Roman von Tatsuo Hori, dem der Film die Figur der an Tuberkulose erkrankten Nahoko entlehnt hat, deren Schicksal wenig mit dem von Horikoshis tatsächlicher Ehefrau gemein hat. Das Drehbuch nimmt sich historische Freiheiten, kommt einer biografischen Wahrheit aber offenkundig nahe, in dem er seinen Helden als einen arglosen Ikarus zeichnet, der nicht begreift, dass er in einem hoch politischen Kontext agiert. Horikoshi entwickelte das Jagdflugzeug Mitsubishi A5M, den sogenannten »Zero Fighter«, der erstmals im japanisch-chinesischen Krieg zum Einsatz kam und während des Pazifikkrieges von den Alliierten gefürchtet wurde.
Die Wahl dieser Erzählperspektive ist riskant. Die ideologischen Scheuklappen seines Helden sind eine Hypothek, von welcher der glühende Pazifist Miyazaki seinen Film poetisch zu entlasten trachtet. So hingebungsvoll wie hier hat er sich zuvor allenfalls in Porco Rosso seinem liebsten Element, der Luft, zugewandt. Mit akribischer Verve studiert er das Verhalten des Windes, lässt ihn durch Blätter streichen und allerorten Hüte fortwehen. Die berührendste Einstellung widmet er den Schneeflocken, die leise auf Nahoko herunterschweben, als sie bis zum Kopf eingepackt auf der Terrasse eines Sanatoriums ruht. Miyazaki versucht, das Unsichtbare auf der Leinwand greifbar zu machen. Auch in den Zugszenen führt er den Zauber der Aerodynamik vor Augen. Jiros Kindheitstraum besitzt für ihn in seiner Unbeirrtheit große Unschuld. Ihn fasziniert die Magie, die aus dem Zusammenspiel von Technik und Natur entsteht. Dass aus ihm die zerstörerische Kraft des Krieges erwächst, kann der Regisseur nicht verschweigen. Er dreht ja seine Filme für Kinder wie für Erwachsene. Letztere werden in seinem Abschiedsfilm auch eine Warnung vor dem erstarkenden Nationalismus unter Premier Shinzo Abe lesen.
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