Kritik zu Was uns hält

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Gut ein Jahrzehnt nach »Anni Felice – Barfuß durchs Leben« gelangt endlich wieder ein Film von Daniele Luchetti in unsere Kinos

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Seit einigen Wochen träumt die kleine Anna vom Tod, und wenn die Mutter ihr die Haare waschen will, rebelliert sie. Früher hat das immer der Vater getan. Welche Verlustängste ihren Bruder Sandro plagen, gibt der verschlossene Junge vorerst nicht preis. Für ihn hat eine andere Geste väterlicher Fürsorge enorme Bedeutung: das Binden der Schnürsenkel, dem Daniele Luchettis Film seinen Originaltitel »Lacci« verdankt.

Hilflos müssen die Kinder mitansehen, wie ihre Eltern sich gegenseitig zerfleischen. Seit Aldo (Luigi Lo Cascio) eines Abends Vanda (Alba Rohrwacher) gestanden hat, dass er eine Affäre mit einer anderen Frau hat, geht ein Riss durch die Familie. Insgeheim existierte er schon davor. Die Ehe raubte ihnen die Luft zum Atmen. In Luchettis früheren Filmen war oft sein Wunsch nach Läuterung zu spüren, aber in diesem Ehekrieg mag er keine Partei ergreifen. Die besitzergreifend eifersüchtige Vanda verliert zusehends den Boden unter den Füßen; ein gescheiterter Selbstmordversuch traumatisiert ihre Kinder zusätzlich. Aldo war in ihren Augen immer schon ein abwesender Vater; nicht nur weil er im fernen Rom als Radiomoderator arbeitet. Dort kann er professionell über jene Gefühle sprechen, für die ihm daheim die richtigen Worte fehlen.

Luchettis Film beruht auf dem Roman »Auf immer verbunden« von Domenico Starnone, den er zusammen mit dem Autor adaptiert hat. Die Erzählstruktur von drei Kapiteln, in denen die Zeitebenen und Perspektiven behände wechseln, übernimmt er mit großem Geschick. Zwischen dem ersten und dem zweiten Segment findet ein Sprung von dreißig Jahren statt, nach dem man erst einmal die Orientierung wiederfinden muss. Nun verkörpern Laura Morante und Silvio Orlando das Ehepaar, das nicht aufgehört hat, sich mit Vorwürfen zu quälen. Als ihre Wohnung während eines Kurzurlaubs verwüstet wird, klaffen neue Abgründe zwischen ihnen. Der dritte Teil blendet sacht zurück und wirft aus der Sicht der erwachsenen Kinder ein anderes Licht auf die emotionalen Verstrickungen.

Blitzschnell greift die Montage Situationen, Worte oder Bewegungen auf, die in einer anderen Zeitebene unter veränderten Vorzeichen stehen. Diese Konstruktion setzt auf die Erinnerung des Publikums. Aldos Antwort auf Vandas anklagenden Brief etwa ist erst eine halbe Kinostunde später zu hören. Man kann Was uns hält durchaus wie einen Detektivfilm betrachten: Während Vanda Verdachtsmomente gegen Aldo sucht, wird die Wachsamkeit geschürt für Indizien, die Aufschluss über das Scheitern der Beziehung liefern könnten. Kein Alltagsmoment ist hier vergeudet, jeder kann verhängnisvolle Konsequenzen haben. Dieses Gerüst der Assoziationen fungiert als ein Filter, durch den man die Charaktere betrachtet. Dabei lässt es sichtbar werden, was eine Generation der nächsten vererbt. Anna und Sandro erfuhren nie jene Geborgenheit, die ihnen später Halt und Zuversicht geben könnte. Die Tochter kommt nach der Mutter, ihr Argwohn bestätigt sich gleichsam gegenseitig. Der Sohn wiederum ist fasziniert vom Akt des Verheimlichens.

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