Kritik zu Vergiftete Wahrheit

© Tobis Film

Todd Haynes schildert die wahre Geschichte des »weiblichen Erin Brockovich«, des Rechtsanwalts Robert Bilott, der die illegalen Entsorgungspraktiken des Chemiekonzerns DuPont aufdeckte und auf die toxischen Folgen der Teflon-Produktion aufmerksam machte

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Und dann stürmt die Kuh mit dem irren Blick auf den Rancher zu, der das Tier im letzten Moment erschießt. Um sich dann zärtlich bei seinem »Mädchen« zu entschuldigen. Zeuge dieser gruseligen Szene ist der junge Rechtsanwalt Robert Bilott (Mark Ruffalo). Im Auftrag des Viehzüchters Wilbur Tennant (Bill Camp), einem Bekannten seiner Großmutter aus einem Provinznest in West Virginia, beginnt er mit seinen Recherchen. Schon bald findet er heraus, dass der Chemieriese DuPont seit Jahren Giftmüll entsorgt, an dem die Rinder des Bauern qualvoll verenden. Das ist aber erst der Anfang einer Horror­story, die sich so weit verzweigt, dass faktisch jeder zivilisierte Haushalt auf dieser Welt betroffen ist.

Todd Haynes, Regisseur von stilistisch und thematisch unterschiedlichen Meisterwerken wie der Glamrock-Stilübung »Velvet Goldmine« oder »Dem Himmel so fern« über Rassismus, nimmt sich für diesen Justizthriller viel Zeit. Schnörkellos fächert er die komplexe Geschichte aus der Sicht eines aufstrebenden Wirtschaftsanwalts auf. Eigentlich vertritt Bilott, seit kurzem Teilhaber einer renommierten Kanzlei, die Interessen großer Chemiekonzerne. Doch das Schicksal des Viehzüchters lässt ihn die Seiten wechseln.

Mit ungeahnten Folgen: Irgendwann, nachdem er sich schon einige Jahre in den Fall verbissen hat, wacht seine Frau nachts von Geräuschen auf. Sind Einbrecher im Haus? Warum sind die Teppichböden herausgerissen? In der Küche findet sie dann ihren Mann, der wie ein Wahnsinniger das Kochgeschirr auf den Boden wirft. Bilott setzt nun seiner ungläubig dreinblickenden Frau auseinander, worum es eigentlich geht: um eine Chemikalie namens PFOA, die bei der Produktion von Teflon zum Einsatz kommt. Teflon - ein Wundermaterial, das nicht brennt, an dem alles abperlt – und das folglich in Küchenwaren, wasserdichter Kleidung, Mikrochips, Verpackungen und in unendlich vielen weiteren Produkten Verwendung findet; ein Milliardengeschäft. Doch bei der Herstellung sind toxische Substanzen im Spiel, deren Entsorgung eine Sauerei nach sich zieht, deren Ausmaß dem wackeren Anwalt zu diesem Zeitpunkt nur vage bewusst ist.

»Vergiftete Wahrheit« ist Teil einer Reihe politisch relevanter Filme wie »Spotlight« oder »The Big Short« oder »Just Mercy«. In diesen Produktionen, die auf die Vermittlung eines klassischen Diskurses setzen, spielt das Thema die Hauptrolle. Vor allem deshalb vermag Mark Ruffalo, von US-Magazinen als »Sexsymbol der denkenden Frau« gekürt, zu überzeugen. Seine Darstellung ordnet sich dem Sujet unter. Als Paragrafensisyphus gräbt Bilott sich durch Aktenberge, wie man sie einst in Orson Welles' Kafkaverfilmung »Der Prozess« gesehen hat.

Trotz einiger Gerichtsszenen ist »Vergiftete Wahrheit« kein typisches Gerichtsdrama. Der Film zeigt ein ungeschminktes Amerika der einfachen Leute. Differenzierte Blicke auf die untere Mittelschicht fügen sich zum Sittenbild einer Industriegesellschaft, deren Menschen aus Habgier vergiftet werden: und zwar nach bestem Wissen und Gewissen. In geheimen Studien, so findet Bilott heraus, hat der Konzern die monströsen Nebenwirkungen von PFOA akribisch erforscht. 

Mit dokumentarischer Nüchternheit erinnert der Film daran, wie 70 000 Bewohner, die unwissentlich kontaminiertes Trinkwasser zu sich nahmen, an einer in dieser Größe nie da gewesenen Blutprobe teilnahmen. Die toxischen Effekte wurden so wissenschaftlich bestätigt, jedoch erst nach vielen Jahren.

Mit seiner Überlänge von knapp 130 Minuten verdeutlicht der Film im Detail, wie der Chemiekonzern mit seiner Finanzmacht die gegen ihn geführten Klagen über Jahrzehnte verschleppt. In dieser Zeit wachsen die Kinder des Anwalts heran. Wechselnde PC-Programme und das Erscheinen von Handys machen das quälend langsame Vergehen von Zeit indirekt spürbar. Nach diesem Film kann man ein Spiegelei nur noch mit mulmigem Gefühl in die Pfanne hauen.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ich erlaube mir mal den "Klugsch...ß...rmodus" einzuschalten:
Meines Erachtens ist der Film bei einem fachlichen Detail zu ungenau; Teflon selbst ist nicht das große Übel (auch wenn es dazu unterschiedliche Aussagen gibt), die zweifelsfrei gefährliche Chemikalie ist das PFOA, das u.a. bei der Herstellung von Teflon zum Einsatz kommt.

Und immerhin das ist in Europa verboten:
https://www.umweltbundesamt.de/themen/eu-verbietet-pfoa

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