Kritik zu Varda par Agnès
In diesem Film, der wenige Wochen vor ihrem Krebstod auf der Berlinale seine Premiere feierte, hält die fabelhafte Agnès Varda eine letzte Zwiesprache mit ihrem Publikum
Es ist Geschichte, wovon ich Ihnen erzähle«, sagt Madame Agnès zum Publikum, »aber es geschah in meinem Leben.« Ihr Tonfall klingt im ersten Teil des Satzes beinahe entschuldigend, aber der zweite genügt als Rechtfertigung vollauf. Sie berichtet mit dem wehmütigen Stolz des Erlebens, der gepaart ist mit der Genugtuung, diesen Erfahrungen ein filmisches Nachleben gegeben zu haben.
In ihrem letzten Film bestellt die Regisseurin ihr Haus. Sein Titel trifft eine Unterscheidung zwischen der Betrachteten und der Betrachterin: Sie wirft einen persönlichen Blick auf die eigene Legende. Diese Perspektive birgt das Risiko der Koketterie. Aber für Varda ist die Familiarität zugleich Bedingung und Ziel des Erzählens. Sie will das Publikum zum Vertrauten werden lassen. Ihre Filme sind angewiesen auf dessen Zuspruch; nicht nur aus ökonomischen Gründen. Die analytische Zärtlichkeit, mit der sie die Welt erkunden, hofft auf Erwiderung. Zu Beginn legt sie die drei Phasen ihrer Arbeit dar, die zugleich Maximen ihres Schaffens sind: Inspiration, Kreation und Teilhabe.
»Varda par Agnès« ist strukturiert wie eine Master Class, in der die zierliche Dame mit der keck gefärbten Pilzkopffrisur Einblick in ihre Werkstatt gibt. Wiederbesichtigungen ihres Werks hat Varda in den letzten Jahrzehnten gleich mehrere gedreht. Aber die Nostalgie blieb stets der Zukunft zugewandt. So ist es auch diesmal. Wenn sie voller Erstaunen (und wiederum Stolz) sagt, sie habe einen Jahrhundertwechsel erlebt, geht dies einher mit einer Entdeckung. Zu Beginn des neuen Jahrtausends lernt sie ein neues Werkzeug kennen, die kleine Digitalkamera. Ohne sie hätte Die Sammler und die Sammlerin 2000 nicht entstehen können, denn mit einer traditionellen Kamera wäre sie den Menschen nicht so nahegekommen. Den Abschied vom analogen Material vollzieht sie ohne Bedauern. Die überflüssigen Filmdosen werden jetzt Teil von Installationen.
Ihre Laufbahn lässt sie nicht chronologisch Revue passieren, sondern in kluger Assoziation. Sie hebt gleich familiär an: Um ihre erste Maxime zu beglaubigen, schildert sie die Entstehung des Kurzfilms »Uncle Yanco«, den sie 1967 von heute auf morgen in Angriff nimmt, als sie in Kalifornien von einem verwandten Maler erfährt. Das Private und die Gesellschaft sind unauflöslich in Vardas Filmen verbunden. Sie legt Rechenschaft ab über ein Lebenswerk, das ein immenses Pensum an Zeitgeschichte spiegelt. Als die große kollektive Angst der 60er Jahre macht sie die Furcht vor dem Krebs namhaft, welche sie in »Cleo – Mittwoch zwischen fünf und sieben« bannen will. Sie berichtet von der prägenden Begegnung mit amerikanischen Hippies und den Black Panthers sowie von der Frauenbewegung, der »Die eine singt, die andere nicht« 1977 ein lebhaftes Denkmal setzt. Das Kino soll die Zeit nicht anhalten, korrigiert sie einen Gesprächspartner, sondern sie begleiten. Gleichviel, ob Varda Spiel- oder Dokumentarfilme dreht, stets will die Kamera reales Leben einfangen. Welch unschätzbares Kinoglück, dass diese Filmemacherin die Welt so fantasievoll betrachtete!
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