Kritik zu Valley of Saints
Warum in die Ferne schweifen, sieh, die Schönheit liegt so nah: Der in den USA aufgewachsene Regisseur Musa Syeed mit indischen Wurzeln entdeckt mit seinem Film fiktional und dokumentarisch die umkämpfte und prekäre Region Kashmir
Mein Vater sagte, wir leben im Tal der Heiligen. Und wir sollten darüber glücklich sein. Ich war es. Ich habe die Heiligen gemalt, die mich beschützen«, erzählt Gulzar (Gulzar Ahmed Bhat) aus dem Off zu videostichigen Bildern von betenden Menschen. Auch wenn Autobiografie kein Relevanzkriterium ist und auch wenn Filmemacher Musa Syeed in den USA aufgewachsen ist, weil seine Eltern aus Kashmir fliehen mussten – in Gulzars behutsamer Erzählung steckt eine Intensität, die vielleicht nur durch Erfahrung zu erklären ist.
Valley of Saints ist das gelebte Leben seines Regisseurs auch an anderen Stellen anzumerken. Der Film erzählt die Geschichte von Gulzar, der mit seinem Freund Afzal (Mohammed Afzal) aus Kashmir wegwill in die großen indischen Städte. Kashmir erscheint in dieser Perspektive als eine Art Mecklenburg-Vorpommern des Mittleren Ostens, das die jungen Leute verlassen, weil so viele andere gegangen sind, wo die Perspektive fehlt.
Der Aufbruch scheitert aber, weil das Gebiet militärisch abgeriegelt ist, eine Ausgangssperre wurde verhängt. Musa Syeed hat dokumentarische Bilder von realen Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerung und Militärs aus dem Jahr 2010 in seinen Film montiert, was der Geschichte einen eigenartigen Raum zwischen Fiktion und Realität erschließt. Zum Bleiben gezwungen lernt Gulzar Asifa (Neelofar Hamid) kennen, die unschwer als eine Figur aus dem Erfahrungshorizont von Regisseur Syeed zu erkennen ist. Asifa ist in Kashmir geboren, hat in den USA studiert und kehrt nun zurück, um die Wasserqualität des Dal-Sees zu erforschen, der eine Hauptrolle in Valley of Saints spielt.
Asifa ist die Rückkehrerin, die durch die Distanz der Fremde anders auf das einst Eigene schaut. Ihr Projekt, die Ökologie des verschmutzten Sees wiederherzustellen, ist vergleichbar dem Anliegen des Films. Und dadurch tritt die Autobiografie von Musa Syeed eben deutlich hervor: Die schönen Impressionen (Kamera: Yoni Brook), die Valley of Saints von Land und Leuten liefert, verdanken sich – darin den Mecklenburg-Vorpommern-Darstellungen im deutschen Kino nach 1990 nicht unähnlich – einem tendenziell touristischen Blick von außen.
In solchen Momenten schrammt das Langfilmdebüt mitunter die Grenze zum Kitsch, wie der Film überhaupt an mancher Stelle noch etwas unklar wirkt in der Verbindung seiner unterschiedlichen ästhetischen Strategien. Dem eindrucksvollen Dokumentarismus wird eine erzählerisch etwas blasse Fiktion angedichtet. Die vor allem am Ende etwas kurzschlüssig wirkt, wenn sich Gulzar in der wiederentdeckten Schönheit seiner Heimat installiert und dabei das Erbe von Asifas Aufenthalt, ein Kompostklo, einrichtet. In der Anlage von Valley of Saints wäre vielleicht noch Spielraum gewesen für das Verhältnis eines tatkräftigen Pragmatismus, wie ihn das Kompostklo symbolisiert, und auch für die politische Zusammenhänge, die Kashmir zur Enklave machen.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns