Kritik zu Vakuum
Christine Repond erzählt mit Barbara Auer und Robert Hunger-Bühler in den Hauptrollen die Geschichte einer Ehe, die nach 35 Jahren Glück durch die
Lüftung eines Geheimnisses in die Brüche zu gehen droht
Selten hat man ein älteres Paar so harmonisch und glücklich gesehen, so lebendig, sinnlich und sexy im Umgang miteinander wie Meredith und André. Doch der Frieden wird plötzlich torpediert, durch eine fast beiläufig eintreffende, beunruhigende Information mit ungeheurer Sprengkraft. Von einem Moment zum nächsten lösen sich alle Gewissheiten einer in vielen Jahren gewachsenen Beziehung auf, bekommt das ganze Fundament aus Vertrauen, Zuneigung und Verbundenheit Risse.
Mitten in die Vorbereitungen für eine große Feier mit Familie und Freunden anlässlich ihrer 35 Jahre währenden Ehe platzt ein Anruf, dem Meredith (Barbara Auer) zunächst wenig Bedeutung beimisst. Selbst als der Arzt sie dann in der Praxis darüber informiert, dass nach einer Blutspende der Verdacht auf eine HIV-Infektion bestehe, winkt sie energisch ab: »Das kann nicht sein, ich bin gesund!« Als sich der Verdacht nach einem zweiten Test bestätigt, sucht sie zunächst nach plausiblen Erklärungen: Könnte es sein, dass sie oder ihr Mann (Robert Hunger-Bühler) nach kleinen Operationen von Blutkonserven kontaminiert wurden?
Als sich dann aber die Gewissheit verdichtet, dass ihr Mann untreu gewesen sein muss, setzt ein langsamer Prozess ein, in dessen Verlauf Meredith lernen muss, sich in ihrem Leben neu zu orientieren, mit einer tödlichen Krankheit, mit einem Mann, der ihr das eingebrockt hat. Zweifel und Misstrauen fressen sich in die Beziehung, heimlich folgt Meredith ihrem Mann, bis zu einem Bordell. Danach konfrontiert sie ihn voller Zorn und wirft ihn aus dem gemeinsamen Haus, das gerade noch die Festung ihrer Beziehung war. Jetzt lebt sie dort allein wie in einem Vakuum mit ihren Ängsten, mit der Scham und der von den Tabletten verursachten Übelkeit. »Können Sie mit jemandem darüber reden?«, fragt der alte Arzt, der ihr die Medikamente verschreibt, und trifft das Problem ganz genau. Denn auch rund 40 Jahre nach den ersten Todesfällen ist HIV noch immer stigmatisiert, erst recht in der gutbürgerlichen Mitte der Gesellschaft.
Nachdem die Schweizerin Christine Respond 2011 in ihrem Spielfilmdebüt »Silberwald« eine düstere Coming-of-Age-Geschichte erzählt hat, wendet sie sich in ihrem zweiten Spielfilm einem Paar in fortgeschrittenem Alter zu. Ausgehend vom realen Fall einer 60-jährigen Frau, die von ihrem Mann mit HIV angesteckt wurde, fragte sie sich: Wie viel Schmerz hält eine Beziehung aus? Und: Können zwei Menschen, die mehr als die Hälfte ihres Lebens gemeinsam verbracht haben sich wieder vereinzeln, oder bleiben sie für immer Bruchstücke eines ehemals Ganzen? Sie erforscht sie im Vakuum von wenigen Wochen wie unter dem Brennglas in allen Nuancen, mit einer Sensibilität, die sich aus ihren Erfahrungen mit drei Dokumentarfilmen speist. Und mit zwei Schauspielern, die sich dieser Herausforderung mit fast naturalistischer Intensität aussetzen. Aller Intimität zum Trotz gelingt es der Filmemacherin, eine fast sachliche Distanz zu wahren.
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