Kritik zu Underdog
Der beste Freund des Menschen? In Kornél Mundruczós preisgekröntem Drama starten geschundene Vierbeiner eine blutige Revolution
Hunde und Kinder, so besagt eine alte Drehbuchweisheit, müssen im Film stets überleben. Sonst verliere man sofort die Gunst des Publikums. Darin steckt auch die Implikation, dass Kinder und vor allem Vierbeiner im Film stets putzig und possierlich sind. Tatsächlich fallen einem beim Stichwort Killerhunde fast nur Stephen Kings »Cujo« und Sam Fullers White Dog ein. Auf Fuller bezieht sich denn auch Kornél Mundruczós Underdog, der im Original White God heißt. Das Anagramm im Titel wirkt durchaus sinnig: Geht es bei Fuller um einen entlaufenen Schäferhund, der auf die Attacke dunkelhäutiger Menschen dressiert ist und diesen Agressionsreflex nun abtrainiert bekommen soll, rollt Mundruczó die Dramaturgie von der anderen Seite auf. Bei ihm sehen wir einen anfangs herzensguten Mischling, der ausgesetzt und von einem sadistischen Geschäftemacher zu einem hochaggressiven Kampfhund abgerichtet wird.
Ein Kind (fast) gibt es auch, nämlich die 13-jährige Lili, deren Mutter sie in den Ferien zum geschiedenen Vater Dániel abschiebt. Das Verhältnis der beiden ist distanziert, der Vater wirkt angespannt und genervt. Vor allem Hagen, der geliebte Hund des Mädchens, ist ihm ein Dorn im Auge. Nach einigen Konflikten und Missverständnissen macht Dániel kurzen Prozess: Er setzt das arglose Tier am Straßenrand aus und fährt mit der weinenden Lili davon. Im weiteren Verlauf zeigt der Film die dramatischen Erlebnisse der beiden getrennten Freunde. Während Hagen besagtem Kampfhundtrainer in die Hände fällt, von Hundefängern eingepfercht und von mitleidlosen Bürokraten zum Einschläfern freigegeben wird, läuft Lili ihrem Vater davon, begleitet Freunde durch das Nachtleben der Großstadt und begibt sich auf die verzweifelte Suche nach Hagen.
Mundruczó inszeniert die Erlebnisse Hagens und Lilis als sich ergänzende Parallelgeschichten: Die Coming-of-Age-Geschichte des pubertierenden Mädchens, das sich zusehends der eigenen Unabhängigkeit und Stärken bewusst wird, und die erwachende Rebellion des Hundes, der die in ihm wachgerufenen Kräfte gegen seine Peiniger richtet – und in den nächtlichen Straßen schließlich eine blutige Revolte der Straßenhunde gegen die Menschen anführt. Bemerkenswert ist hierbei, dass Mundruczó in keinem Moment auf digitale Animation zurückgreift. Die Arbeit mit ausschließlich echten Tieren gibt dem Ganzen einen sympathisch altmodischen Touch und führt vor Augen, wie viel unmittelbarer eine solch »analoge« Methode im Zweifelsfall wirken kann – wenngleich die Spannungsszenen manchmal etwas holprig inszeniert und geschnitten sind.
Mit den Hundeattacken bekommt Underdog im letzten Drittel den Charakter eines waschechten Tierhorrorfilms und einer düsteren Fabel. Ironischerweise nimmt ihm das einen guten Teil seiner Intensität, denn die Horrorelemente stehen in einem eigentümlichen Kontrast zur Realitätsnähe der vorherigen Geschehnisse und die Symbolik von der Hunderebellion als Aufstand der Unterdrückten wirkt gleichermaßen diffus und schlicht (zum symbolschwangeren Überfluss arbeitet der Vater auch noch im Schlachthof).
Am besten funktioniert die Geschichte denn auch als »éducation sentimentale« einer Teenagerin, bei der das Schicksal ihres Hundes wie eine Überspitzung ihrer eigenen Konflikte wirkt. Das Kampfhundtraining und Lilis autoritärer Musikunterricht bilden dabei eine augenfällige, wenn auch schräge Analogie. Dazu passt auch, dass sämtliche Erwachsenen wie Karikaturen schlecht gelaunter und vollkommen verständnisloser Despoten gezeichnet sind – genau so, wie ein pubertierender, mit sich selbst unglücklicher Teenager sie in der Regel wahrnimmt. Etwas inkonsequent wirkt in dieser Hinsicht, dass Lili im Gegensatz zu ihrem Hund keinen echten Ausbruch und keine handfeste Rebellion wagt. Andererseits passt es zu einem Film, der manchmal nicht recht zu wissen scheint, wo er mit seinen guten Ideen hinwill.
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