Kritik zu Treasure – Familie ist ein fremdes Land

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Julia von Heinz adaptiert Lily Bretts autobiografisch geprägten Roman über ein jüdisches Vater-Tochter-Paar, das kurz nach dem Mauerfall nach Polen reist, wo die Familie einst lebte

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Väter und Töchter haben es manchmal schwer miteinander. Die amerikanische Journalistin Ruth ­Rothwax wartet im Flughafen von Warschau ungeduldig auf ihren aus New York anreisenden Vater Edek. Er erscheint als Allerletzter in der Ankunftszone, heiter und in Plauderlaune. Stephen Fry als Edek betritt die Bühne des Films »Treasure – Familie ist ein fremdes Land« wie der von Shakespeare erfundene Sir John Falstaff, ein Bonvivant in XXL. Fremde erklärt er spontan zu Freunden, zum Beispiel den Taxifahrer Stefan (Zbigniew Zamachowski). Er soll Edek und seine Tochter (Lena Dunham) an die Zielorte ihrer gemeinsamen Reise befördern: nach Warschau, Lodz und Krakau sowie zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dort ist Edeks Familie ermordet worden; er und seine Frau überlebten. 

Der in Łódź geborene Jude Edek ist von Stefans Auto und der mit seiner Produktion verbundenen Ingenieurskunst überzeugt: »Ich hasse Deutsche – nicht Mercedes.« Die ersten Szenen setzen den Grundton dieses großartigen Films. »Treasure« nähert sich mit Leichtigkeit und Humor, manchmal auch mit dokumentarfilmisch anmutender Distanz Themen wie Weiterleben und Tod – ohne jemals ihre existenzielle Wucht und Würde anzutasten. 

Von Heinz und ihr Drehbuchpartner John Quester haben den Roman »Zu viele Männer« von Lily Brett aus dem Jahr 1999 adaptiert. Schauplatz ist Polen 1991, kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Ruth und Edek begeben sich auf eine biografische Spurensuche. Die Tochter will die Geschichte ihrer Familie rekonstruieren, die ihr die Eltern nie erzählt haben. Ruth ist gut vorbereitet, ihr Koffer ist voll mit Literatur zum Nationalsozialismus. Der Vater war mehr als 40 Jahre nicht mehr in Polen. Das Land, das sie bereisen, ist kalt, feucht und grau. Die Hotels, in denen sie absteigen, erscheinen wie steinerne Symbole des real existierenden Sozialismus, nächtlich ausschwärmendes Ungeziefer inklusive. 

Der Film lebt vom Antagonismus seiner Hauptfiguren. Ruth geht die Recherche an wie eine Investigativjournalistin. Edek weicht ihren bohrenden Fragen aus und walzt scheinbar nonchalant über Details aus der Vergangenheit hinweg. Er meidet die Wiederbegegnung mit Orten und Objekten: mit der Fabrik in Łódź, die der Familie gehörte, und dem heruntergekommenen ehemaligen Wohnhaus, in dem jetzt eine polnische Familie lebt. »Bitte nehmen Sie uns nicht unser Zuhause weg«, appellieren die Bewohner an die amerikanischen Besucher. Als »egoistische Lügner« empfindet sie Ruth, die für viele Dollar wertvolle Dinge aus dem Besitz der Familie Rothwax zurückkauft. 

Mit Fry und Dunham hat die Regisseurin ein perfektes Darstellerduo gewinnen können. Vater und Tochter sind gezeichnet: er von lange verdrängten Erfahrungen in Łódź und Auschwitz sowie dem kürzlichen Tod seiner Frau; sie von einem unbefriedigenden Privatleben und einer heimlichen Essstörung. Mit schmerzhafter Intensität arbeiten sie sich aneinander ab. Edek, der glaubt, Ruth sei 32 (sie ist 36), quält sie mit Fragen nach ihrem Ex-Partner Garth und »the sex«. Sie nimmt Anstoß an seinem verlotterten Aussehen und seinem Drang zum Flirten. Das spielen Fry und Dunham auf komische und zugleich bewegende Weise aus. 

Der Film bereitet auch das Fundament für die ganz großen Emotionen. In ­Auschwitz berührt Fry als Edek eine Mauer in der ehemaligen Baracke, in der er einst gefangen war, mit einer zögerlich-zärtlichen Geste. Später, als er einen Mantel seines Vaters und ein Foto seiner ermordeten Schwester in Händen hält, lässt er endlich den Schmerz zu, den er jahrzehntelang unterdrückt hat. In Stefans Taxi finden Vater und Tochter schließlich unter Tränen wieder zueinander. 

Das kalte, feuchte und graue Polen hat Edek und Ruth verändert. Als eine Pointe voll bitterer Ironie darf man ein Panoramabild von Auschwitz empfinden, das Daniela Knapps Kamera aufnimmt: ein Stillleben des Grauens mit der Sonne am Himmel.

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