Kritik zu The Substance – Albert Hofmann´s LSD
Sieben Jahrzehnte auf Acid: Martin Witz erforscht in seinem Dokumentarfilm die Entdeckung und den Einsatz der halluzinogenen Droge, die ein Schweizer Chemiker 1943 entdeckte
Jede Kultur, jede Zeit hat ihre eigenen Drogen. Rauschmittel, die euphorisieren, die die Verhältnisse erträglich machen. Es gibt ja kaum eine Gesellschaft, die ohne Drogen in welcher Form auch immer auskommt. LSD ist in gewisser Weise eine Anti-Droge: ein Rauschmittel, dem man sich aussetzen muss, das Halluzinationen in einem auslöst, das einem die Kontrolle über das eigene Selbst nimmt. Eine Aussteiger-Droge. Und bei dem die Reise in unbekannte Welten auch einmal in Angst und Schrecken enden kann – der Begriff »Horrortrip« ist im Umfeld der Acidheads entstanden.
Seine größte Konjunktur hatte LSD im psychedelischen Jahrzehnt der 60er, als der Genuss Bewusstseinserweiterung und Befreiung versprach. Es war die Zeit, als der Drogenguru und frühere Harvard-Professor den Slogan vom »turn on, tune in – drop out« ausgab, als sich der Schriftsteller Ken Kesey mit seinen Merry Pranksters, einem in Leuchtfarben bemalten Bus und einem Haufen LSD zu einer Reise quer durch die USA aufmachte. Heute fristet – das übrigens erst 1971 in der Bundesrepublik verbotene – LSD auf dem Drogenmarkt eher ein Nischendasein. Andere Drogen kamen, das dumpf machende Cannabis in den 70ern, Kokain in den Achtzigern. Mit dem Zeugs hatte man auch nachts um eins noch tolle Einfälle. Gordon Gekko hat mit Sicherheit Koks genommen.
Schon die Entdeckung von Lysergsäurediethylamid war ein Kuriousum. Der Wissenschaftler Albert Hofmann suchte 1943 nach einem den Blutkreislauf regulierenden Mittel. Als in den Ländern drumherum der Zweite Weltkrieg tobte, die Amerikaner mit Hochdruck an der Atombombe arbeiteten, entdeckte der beim Pharmakonzern Sandoz angestellte Hoffmann in der Schweiz jene Substanz, die auf halluzinogene Weise ins Nervensystem eingriff. Er machte einen Selbstversuch: »Ein furchtbares Erlebnis«, wie er sagt, »dieses Gefühl, in einer anderen Welt zu sein.« The Substance – Albert Hofmann’s LSD zeichnet die wortwörtlich zu nehmende Wirkungsgeschichte dieser Droge nach, von ihrem Einsatz in der Behandlung psychisch kranker Menschen in den 50er und 60er Jahren bis hin zu ihrer Medikation bei unheilbar Kranken heute. Zu den skurrilen Seitenarmen gehört, dass in den USA CIA und Army mit LSD experimentierten, weil sie davon träumten, aus der Luft gesprühtes Acid könnte feindliche Armeen paralysieren. In einem Übungsfilm exerzieren Soldaten einmal ohne, dann mit Acid intus: Aus der ehemals geordneten Gruppe ist ein Haufen lachender Jungs geworden, die in alle möglichen Richtungen laufen, nur nicht dahin, wo sie sollen.
The Substance – Albert Hofmann’s LSD wertet nicht, er lässt die vielen Archivaufnahmen und Interviews mit Wissenschaftlern und Zeitzeugen für sich sprechen, auch der – im Dokumentarfilm ja selten gewordene – Off- Kommentar ordnet nur ein. Aber der Film hat ein großes Manko: die Wechselwirkungen der Droge mit der Kunst und der Popkultur der60er und frühen 70er Jahre blendet er nahezuvöllig aus. Aber wäre eine, sagen wir mal, Light Show von Pink Floyd ohne LSD überhaupt erfunden worden?
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