Kritik zu Sons of Norway
Es ist ein Problem, das es früher nicht gab: Was, wenn eine Protestgeneration auf die andere trifft – und beide sich revoltierend überbieten? Der Norweger Jens Lien konfrontiert in seiner Tragikomödie einen Hippievater mit einem Punkkid
Was macht ein pubertierender Junge mit seinem revolutionären Potenzial, wenn sein Vater viel radikaler ist, als er selbst es sich vorstellen kann? Wir schreiben das Jahr 1979. In einem Vorort von Oslo versucht der Vater des jungen Nicolaj als Architekt, gegen die leblosenWohncontainer anzuarbeiten und seine alten Hippieideale in menschenwürdige Bauten umzusetzen. Weihnachten feiert er mit einem Übermaß an Bananen, um die äffische Existenz des Menschen zu verdeutlichen; außerdem liebt er seine Familie über alles.
Und dann kommt mit Johnny Rotten und den Sex Pistols eine neue Protestwelle in Norwegen an. Nicolajs Haare fallen und mit ihnen die vom Vater geerbten Ideale. Der lässt sich das allerdings nicht kampflos gefallen. Geschwind macht er den Protest des Sohnes zu seinem eigenen, verteidigt ihn vor dem Schuldirektor, dem Nicolaj eine Bierflasche an den Kopf geworfen hatte, lobt das widerständige Potenzial des Jungen und spielt am Ende Schlagzeug in dessen Punkband. Dann wird die Mutter von einem Unbekannten überfahren und stirbt. Wieder wird alles anders. Der Vater versinkt in Trauer und verlässt das Bett nicht mehr, der jüngere Bruder wird zur Tante gegeben, und Nicolaj muss plötzlich erwachsen werden. Eine Aufgabe, an der er zu zerbrechen droht: Der Nihilismus des Punks und die familiäre Verantwortung für den Vater gehen eben nicht zusammen. An dieser Stelle muss auch Jens Liens neuer Film eine ganze Menge aushalten. Denn zwischen den Bildern des nackten Vaters, der auf einem Motorrad vom Nudistencamp in die nächste Kleinstadt fährt, und dem Körper der Mutter, der an der Windschutzscheibe eines rasenden Kleinwagens zerschellt, liegen nur wenige Filmminuten. Alles in allem trägt der Film´etwas schwer an seinen Ambitionen. Er will die revolutionäre Kraft des Punks, seine Absage an jede Sinnhaftigkeit, in Opposition zum Love and Peace der Hippies setzen, ohne diese zu desavouieren. Er zeichnet eine starke Vater-Sohn-Beziehung zu einem Zeitpunkt, wo beide sich emanzipieren müssen, und inszeniert das Ganze als extreme Tragikomödie, die weder an absurden Gags noch an drastischer Trauer spart. Diese stürmischen Wellenbewegungen schaden den »Sons of Norway«, weil weder düstere noch leichte Stimmungen wirklich entwickelt werden können. So findet der Film keine stimmige Atmosphäre. Die mitunter sehr gelungenen komischen szenischen Einfälle im Nudistencamp, bei der Bananenweihnacht, bei der Rede zum Nationalfeiertag, als Nicolaj den Direktor attackiert, sind nicht stark genug, um den Film zu tragen. Aber auch die tragischen Ereignisse werden in ihrer Konsequenz nicht genügend ausgespielt.
Dennoch ist »Sons of Norway« ideenreich und poetisch genug, um sich selbstbewusst jenseits des alltäglichen Realismus anzusiedeln. Und der Cameo-Auftritt von Johnny Rotten ist ein ganz großer Moment. Mit Liens subtil groteskem Film »Anderland« allerdings, der eine bedrohliche Dystopie entwarf, kann »Sons of Norway« nicht mithalten.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns