Kritik zu Sommer in Wien
Walter Größbauers Dokumentarfilm ist weniger ein Jahreszeitenporträt einer Stadt, sondern ein entspanntes Sammelsurium von Daseinsmomenten und Ausflügen in eigenwillige Lebensentwürfe
Es kann im Sommer in Wien sehr heiß werden; die Stadt liegt in einem Kessel, und wenn dann noch der Wind aus der ungarischen Tiefebene herüberweht, vermeint so mancher Mitteleuropäer, sich nunmehr eine Vorstellung von der Wüstenhitze machen zu können. Nur dass es eben in der Wüste des Nachts abkühlt. In Wien nicht. Das kann dann schon ganz schön schlauchen. Und nimmt das Tempo aus dem in Wien ohnehin etwas gemächlicher gehenden Leben. Zur Erfrischung wie Erholung begeben sich die WienerInnen in die Weinberge, ins Freibad Gänsehäufel, auf die Donauinsel oder an die Alte Donau, auch in den Strandbars entlang des Wienflusses lässt sich vortrefflich der Tag vertrödeln. Glück hat, wer bei dieser Hitze kein Tourist ist und nichts besichtigen muss.
Die Freibadklientel, die Draußentrinker und die Stadtbesucher zeigt Walter Größbauer in den musikalischen Zwischenspielen, die seinen titelgemäß entspannten Dokumentarfilm »Sommer in Wien« rhythmisieren. Vier Wienerlieder des Wiener Liedermachers Franz Joseph Machatscheck markieren Verschnaufpausen im Dahinfließen der aufgezeichneten Ereignisse, so als wolle Größbauer zwischendurch Antworten auf die Frage geben: Was machen währenddessen eigentlich die anderen?
Währenddessen? Während nämlich der dem Buddhismus wie der Jagdfischerei zugeneigte Bernhard Balas seinen Klavierbau- und Restaurationsladen im 15. Bezirk am Laufen hält, Christin, die bis vor kurzem noch ein Mann war, in Jedlesee zahlreichen Widrigkeiten zum Trotz ein Sommerfest zu organisieren versucht, hier einer aus dem Nähkästchen plaudert, dort einer aus seinem Leben erzählt, und mittenmang der Bildhauer Carlo Wimmer in schlabbriger Unterhose eine dieser wienerischen Schimpfkanonaden vom Stapel lässt, die mit »motschkern« respektive »granteln« nur außerordentlich unzureichend beschrieben ist.
Mäkelnd einwenden ließe sich nun auch, dass »Sommer in Wien« eher einem Sammelsurium disparater Momente im jeweiligen Dasein eines zusammengewürfelten Haufens von Leuten gleicht denn dem Jahreszeitenporträt einer Stadt. Repräsentativ erscheinen die Protagonisten des Films allenfalls in Bezug auf ihre Eigenartigkeit. Da aber Wien bekanntlich anders ist, was nicht zuletzt eben den WienerInnen geschuldet ist, liegt genau darin wiederum eine gewisse Stimmigkeit. Balas Klavierwerkstatt ist das Epizentrum, von dem aus Größbauer seinen Menschen auf ihren Wegen durch die Stadt folgt. Und die Gelassenheit, mit der sie ihn an ihrem Treiben teilhaben lassen, die Gelassenheit auch, mit der sie Hindernissen begegnen und Zuversicht bewahren, erzeugt schließlich jene Atmosphäre, die den Sommer in Wien ausmacht. Und nicht nur das. Zugleich sind hier Lebensentwürfe porträtiert, die sich dem herrschenden Zeitgeist nicht unterwerfen und die der rasenden Ökonomisierung der Beziehungen Aufmerksamkeit und Zugewandtheit entgegenstellen. Widerstandsnester, in denen das andere Leben in einer besseren Welt bereits ganz selbstverständlich gelebt wird, nicht nur im Sommer, sondern das ganze Jahr über.
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