Kritik zu Sommer 85
François Ozons 19. Regiearbeit könnte das Flair eines Erstlingsfilms besitzen. Sie erzählt einen vertrackten, nur an der Oberfläche nostalgischen Bildungsroman. Dann kommen Verhängnis und Ironie ins Spiel
Alex ist sechzehn und fasziniert vom Morbiden. Gegen solch düstere Gedanken ist man in diesem Alter nicht unbedingt gefeit; selbst im Sommer, der an der Küste der Normandie voller Verheißung scheint. Aber wie schnell in diesem Film vom Tod die Rede ist!
Zu seinem Auftakt befindet sich Alex (Félix Lefebvre) in Polizeigewahrsam. In Handschellen erzählt er uns, wie es dazu kam, wie er in diesem Sommer eine Liebe fand und verlor. David (Benjamin Voisin) rettete ihn aus einem Schiffbruch und baggerte ihn sogleich siegesgewiss an. Durch den 18-Jährigen gerät sein Leben aus den Fugen: Er ist der Freund seiner Träume, der ihn erst das Glück lehrt und nach sechs Wochen die Entzauberung. In seinem Kommentar aus dem Off stellt Alex ihn als die zukünftige Leiche in seiner Geschichte vor.
Was es mit diesem Verhängnis auf sich hat, offenbart François Ozon im unerbittlichen Wechsel zwischen Gegenwart und Rückblick: als ein erzählerisches Puzzle, dessen Teile sich nach und nach zueinanderfügen. »Sommer 85« ist ein Wechselbalg. Einerseits folgt er einer Erzählstruktur, die Ozon aus dem Film noir kennt: der Beichte eines Todgeweihten. In diesen Rahmen bettet er jedoch eine luftige Sommerromanze ein. Die Chronik eines Coming-outs steht bei diesem Regisseur ja meist unter glücklichen Vorzeichen. Er kann ein Meister der filmischen Ermutigung sein. Den Widerspruch zwischen Flirt und Tragödie will er nicht auflösen. Eine tragfähige Spannung entsteht daraus nicht, vielmehr eine Unberechenbarkeit des Tonfalls. Ozon flicht Momente von hübschem Unernst ein, etwa die Komplikationen, die aus einer Travestie entstehen, dabei ist »Sommer 85« so harmlos wie Davids Klappmesser, das sich als Kamm entpuppt.
Ozon wollte die Romanvorlage von Aidan Chambers verfilmen, seit er sie als 17-Jähriger entdeckte. Der Stoff wäre in der Tat ein verlockender Erstlingsfilm gewesen, ein Bildungsroman mit sacht autobiografischem Flair und hoffnungsvollen Widerhaken. Diese Frische vermag er nun nicht mehr einzuholen. Seiner Inszenierung eignet eine verblüffende Flüchtigkeit: Keine Szene erzählt mehr, als ihr Inhalt verlangt. Den Elan seiner Hauptdarsteller lähmt das nicht, auch das restliche Ensemble ist hervorragend.
»Sommer 85« gehört jenem Strang in Ozons Werk an, in dem das Erzählen selbst zum Thema wird. Der Vergleich zu In ihrem Haus ist hierbei schlüssiger als zu »Swimming Pool«. Sein Voice-over scheint Alex die Kontrolle über seine Geschichte zu geben, während sein Schicksal in anderen Händen liegt. Auf der Gegenwartsebene entscheiden das Jugendamt, die Fürsprache seines verständigen Lehrers und letztlich das Gericht darüber; in den Rückblenden übernimmt David das Kommando über sein Leben. Diesen Gegensatz zwischen Freiheit und Bestimmung kostet Ozon leidlich als dramaturgische Ironie aus. Die Metaebene, die er einzieht, trägt jedoch Früchte der Reife und Erkenntnis. Alex wird vor die Frage gestellt, ob man die Menschen nicht vielleicht erfindet, in die man sich verliebt. Und er hegt die Zuversicht, dass er seiner eigenen Geschichte entkommen kann. Das Ende stellt alles auf Anfang. Schade nur, dass es wie eine flaue Ausflucht wirkt.
Kommentare
Sommer 85
Der Film hinterlässt mich sehr zwiespältig. Eigentlich hatte ich auf Ozon gehofft, ich dachte, kein anderer könne diesen Film zu etwas geheimnisvollen großen inszenieren. Was geblieben ist, sind viel bunte Bilder.
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