Kritik zu Snow
Frauen und Kinder zuerst? Im Spielfilmdebüt der bosnischen Regisseurin Aida Begic, das von den Folgen des Krieges und der Angst vor einer ungewissen Zukunft erzählt, sind sie die Übriggebliebenen
Irgendwo in Bosnien, 1997, kurz nach dem Ende des Krieges. In dem kleinen Dorf Slavno leben sechs Frauen und fünf Kinder. Ein Alter und ein angesichts der Kriegsgreuel verstummter Waisenjunge sind die einzigen männlichen Bewohner. Die Ehemänner sind im Krieg verschollen, vermutlich sind sie Opfer serbischer Tschetniks geworden. Man vertreibt sich die langen Abende mit Spielen, bei denen die Eigenarten der Vermissten pantomimisch nachgestellt und die dazugehörigen Personen geraten werden – ein manchmal heiterer, meist aber verzweifelter Versuch, ihr Andenken am Leben zu erhalten.
Doch die Blicke der Frauen richten sich zwangsläufig nach vorne. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, versuchen sie, selbstgemachte Marmelade zu verkaufen. Die Notgemeinschaft kommt ins Bröckeln, als zwei serbische Vertreter einer Baufirma auftauchen, um den Frauen – teils unter massiven Drohungen – ihre Häuser abzukaufen. Angeblich plant ein ausländischer Investor hier ein Bauprojekt. Für die Frauen stellt sich die Frage: Neubeginn oder Verbleiben an einem Ort, der mit Leid und Tod, aber auch mit Erinnerungen verbunden ist? Vor allem die junge Witwe Alma (Zana Marjanovic), als einzige streng muslimisch gekleidet, glaubt an eine Zukunft für das Dorf. Obwohl gerade sie, von ihrer kränklichen Schwiegermutter (Vesna Mašic) wie eine Magd behandelt, hinreichend Gründe hätte, wegzugehen. Doch dann erkennt der Waisenjunge einen der serbischen Geschäftemacher wieder.
Die bosnische Filmemacherin Aida Begic hat ihr Debüt wie ein Kammerspiel angelegt. Der ruinierte Ort mit den fragilen Häusern, die mit Mitteln eines UN-Hilfsfonds provisorisch wiederaufgebaut wurden, steht für die Befindlichkeit der Bewohnerinnen: verletzt, doch leidlich lebensfähig. Begic lässt ihre Protagonistinnen ohne viele Worte agieren. Wie ein Puzzle setzt sich die Geschichte langsam im Kopf des Betrachters zusammen. Dabei entsteht ein differenziertes Spektrum von Charakteren und Lebensperspektiven: von der traurigen Alma, die eine Zukunft mit einem jungen Lastwagenfahrer vor sich haben könnte, bis hin zu den Kindern, die mit ihrer Ausgelassenheit und ihrer pubertären Neugier für eine bessere Zukunft stehen.
Die behutsame Inszenierung geht nahe an die Protagonistinnen heran, ohne ihnen zu nahe zu treten. Die gleichförmige episodische Struktur der Filmerzählung bildet die Monotonie ihres Alltags ab. Leider gibt die Regisseurin dieses Konzept im letzten Teil des Films auf. Mit konventionellen dramaturgischen Mitteln treibt Begic die Handlung voran, als sei sie ihrer Geschichte ein abgerundetes Ende schuldig. Ein Sturm kommt auf, ein defektes Fahrzeug verhindert die Abfahrt der beiden Serben, die Plane mit dem UN-Emblem reißt und kann keinen Schutz mehr bieten. So viel durchsichtige Symbolik wirkt ebenso aufdringlich wie das Schlussbild mit dem Kind, das mit ausgebreiteten Armen den Schnee begrüßt. Ein Hoffnungsschimmer, wie auch das Presseheft poetisch raunt: »Der Schnee fällt nicht, um den Hügel zu bedecken, er fällt, damit jedes Tier eine Spur seines Vorübergehens hinterlassen kann.«
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