Kritik zu Skin
Guy Nattiv erzählt mit Jamie Bell in der Hauptrolle die wahre Geschichte eines Aussteigers aus der amerikanischen Neonazi-Szene nach
In »Skin«, dem amerikanischen Spielfilmdebüt des Israelis Guy Nattiv, ist die Haut buchstäblich Schauplatz einer schmerzvollen Transformation: Sehr nah folgt man immer wieder dem Rhythmus des Lasergeräts, das die Tattoos des Protagonisten Bryon Widner (Jamie Bell), die seinen Kopf und Körper überziehen, mit lautem Knall unter Beschuss nimmt. Gnadenlos hält die Kamera die Stressrötungen der Dermis fest, wenn jedes einzelne der zahllosen Symbolzeichen seiner rechtsterroristischen Weltanschauung im Unterhautgewebe pulverisiert wird und der Mann auf dem OP-Tisch gegen die physische Qual ankämpft.
612 Behandlungen, gesponsert von einer antirassistischen Gönnerin, waren nötig, um die Runen, Hakenkreuze und kryptischen Marker von Widners Körper zu entfernen und damit seinen Ausstieg aus der Gewalt zu besiegeln. Guy Nattiv, der in New York lebt, war von den kraftvollen Bildern dieser Selbstreinigung eines berüchtigten Skinheads derart fasziniert, dass er die bereits dokumentarisch bearbeitete Geschichte, die sich wenige Jahre vor Donald Trumps Bestärkung des rechtsradikalen Mobs in Ohio zutrug, als Hymne auf die Kraft zur Versöhnung neu erzählt.
2009 schlägt Widner, Ziehsohn des fanatischen Führers einer rechtsterroristischen Splittergang in Ohio, nach einem Naziaufmarsch einen jungen afroamerikanischen Gegendemonstranten fast zu Tode. Nach der Verhaftung bietet ihm eine Staatsanwältin die Chance zum Ausstieg an, wenn er Namen nennt, doch Widner schweigt eisern. Der »Vinländer's Social Club«, die heruntergekommene Farm eines freundlich-demagogischen Führerpaars und einer Gang aus befehlshörigen Waffennarren, die durch Geld, Alkohol und exzessive Partys gefügig gehalten werden, bedeutet für ihn eine Ersatzfamilie.
Durch die Liebe auf den ersten Blick zu der wunderbar runden, in sich ruhenden Julie (Danielle McDonald), einer alleinerziehenden dreifachen Mutter, die die rechte Szene ihres Exgatten verlassen hatte, wird Widner zum verantwortungsvollen Partner und Familienvater, dies jedoch in einem schwierigen Prozess voller Thrillmomente, da die Skin-Sekte seinen Rückzug durch Einschüchterung und Terror zu verhindern versucht. Und dann gibt es da noch den Menschenrechtsaktivisten Daryle Jenkins (Mike Colter), der den Opfern der weißen Suprematisten aus seiner afroamerikanischen Community von Rache abrät. Jenkins setzt auf Deeskalation, gewinnt als Abgesandter einer Rechtshilfe-Initiative und Vermittler der Tattoo-Entfernung Widners Vertrauen und kann sein Bild schließlich seiner Galerie der konvertierten Radikalen hinzufügen.
Guy Nattivs Drehbuch scheut weder die nah am Kitsch gebaute Liebesgeschichte noch kurzatmige Wendungen zum Guten.Seine Inszenierung eines moralisch depravierten Siedlermilieus, das von Ku-Klux-Klan-Größenwahn und Lynchmord besessen ist, mischt Realismus mit Thrillermomenten, Liebesutopie mit einem humanistischen Appell. In Zeiten des zunehmenden Rassismus lässt sich Byron Widners Wandlung als Teil einer viel zu wenig beachteten Gegenkultur verstehen.
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