Kritik zu Sibyl – Therapie zwecklos

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In ihrer zweiten Zusammenarbeit mit Virginie Efira verleiht Regisseurin Justine Triet dem Komödienklischee von Seelenklempnern, die selbst am Rande des ­Nervenzusammenbruchs stehen, einen neuen Dreh

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Sibyl will ihre Psychoanalytikerpraxis an den Nagel hängen, um zu ihrer alten Leidenschaft, dem Schreiben, zurückzukehren. Kühl entlässt sie ihre langjährigen Klienten, macht aber eine Ausnahme für eine junge Frau, die sie telefonisch um Hilfe gebeten oder vielmehr belagert hat. Margot, eine aufstrebende junge Schauspielerin, wurde kurz vor den Dreharbeiten eines wichtigen Films schwanger – von Igor, Hauptdarsteller des Films und Lebenspartner von Regisseurin Mika. Sibyl lässt sich trotz Bedenken hinsichtlich ihrer professionellen Distanz auf die verzweifelte Margot ein. Denn sie plant, die Geschichte ihrer Analysandin als Romanstoff zu verarbeiten. Schließlich fliegt sie als Margots Assistentin zu den Dreharbeiten nach Stromboli. Die Psychodynamik am Set lässt jedoch ihre mühsam aufgebaute Fassade einer selbstsicheren Frau schnell zusammenbrechen.

Seelenklempner, die durchdrehen, sind ein wunderbarer Filmstoff, wie zum Beispiel der Komödienklassiker »Was ist mit Bob?« beweist. »Sibyl« ist aber zugleich »Eine Frau unter Einfluss« nach der Art von Cassavetes. Regisseurin Justine Triet melkt das Thema nach allen Regeln der Kunst und der Psychoanalyse, indem sie die Spielebenen vervielfacht. In Rückblenden entfaltet sich ganz allmählich, angefacht von Margots Erzählungen, ein zweiter Film, in dem Sibyl, Ehefrau und Mutter, ihre eigenen verdrängten Tragödien erneut durchlebt. Und im Film-im-Film, in Margots Liebesszenen mit Igor, dann noch mal durchmachen muss. Last not least spielt Hauptdarstellerin Virginie Efiras derzeitiger Lebenspartner Niels Schneider ihre große, verlorene Liebe. Diese mehrfachen riskanten Spiegelungen führen zu Momenten, die ebenso herzzerreißend sind wie voll trockenen Humors: etwa bei den entnervten Regieanweisungen Mikas an die Adresse von Igor, der in einer Liebesszene mit Margot nicht die rechte Leidenschaft aufbringen kann, was schließlich dazu führt, dass Sibyl die Regie übernehmen soll.

Diese sich organisch entwickelnden tragikomischen Gratwanderungen finden leider ein abruptes Ende durch einen Drehbucheinfall, der zu einem schlechteren Film zu gehören scheint und auf plumpe Weise Sibyls Rückfall in selbstzerstörerisches Verhalten zu beglaubigen versucht. Doch Virginie Efira zieht sich in diesem ausgesprochenen Frauenfilm ebenso großartig aus der Affäre wie in ihrem ersten Film unter Triets Regie, der Tragikomödie »Victoria«, in der sie ebenfalls einen starken Charakter mit zu vielen Baustellen im Leben verkörpert. Großartig lakonisch als Frau am Rande eines Nervenzusammenbruchs agiert auch Sandra Hüller als Regisseurin Mika zwischen Drehplan und enttäuschter Liebe. Letztlich ist dies ein subtiles Drama über die Grausamkeiten, die Menschen, bewusst und unbewusst, sich selbst und anderen antun, durch Egoismus, Manipulation, Lüge und Selbstlüge, halbherzige Entscheidungen. Wie nebenbei gibt Triet in ihrem Film auch der eigenen Branche eins mit, indem sie Schauspieler als Menschen porträtiert, die ihre Verstellungskünste ihrer »gähnenden inneren Leere« verdanken.

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