Kritik zu Schneeland

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Hans W. Geißendörfers erster Kinofilm nach zehn Jahren

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Der Film beginnt, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Zunächst musikalisch. Der Komponist Irmin Schmidt hat für Hans W. Geißendörfers Film »Schneeland« eine Schicksalsmelodie erfunden, deren Noten eine düstere Botschaft artikulieren: Nichts wird gut. Eben hat man die in Schweden lebende Schriftstellerin Elisabeth (Maria Schrader) und ihren Mann Ingmar (Martin Feifel) im Bett beobachtet, jetzt erhält sie die Nachricht, er sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Elisabeth verlässt Haus, Familie (drei Kinder) und kehrt in die Schneewüste Lapplands zurück, wo sie ihren Mann einst kennen gelernt hatte. Es soll eine Reise ohne Rückkehr sein, Elisabeth will sterben. Und ein Schneesturm bricht los.

Es bleibt kalt und stürmisch in den folgenden gut zwei Stunden. Geißendörfers Kameramann Hans-Günther Bücking nimmt ein atemberaubendes Panorama auf, eine Natur, die großartig und grausam zugleich erscheint, die den Menschen beherrscht – nicht umgekehrt. Maria Schrader spielt eine Schmerzensfrau mit Überlebensinstinkten. In der Nähe eines Einsiedlerhofes findet sie die Leiche einer alten Frau. Im leeren Haus stößt sie auf Dokumente und Spuren der Lebensgeschichte der toten Ina. Im Folgenden durchdringen sich Gegenwart und Vergangenheit, Geißendörfer verknüpft Inas (Julia Jentsch) Schicksal mit dem Elisabeths. Die Konfrontation mit der leidenschaftlichen Liebe zwischen Ina und Aron (Thomas Kretschmann), mit Gewalt und Selbstbehauptung führt Elisabeth, wie sie in gehobenem Ton sagt, »wieder in mein Leben hinein«.

Hans W. Geißendörfer hat sich zehn Jahre nach »Justiz« wieder dem Kino zugewandt. Mit »Schneeland« nach dem Roman von Elisabeth Rynell hat er nicht nur geographisch die von ihm erschaffene »Lindenstraße« verlassen. Hier, vor der Kulisse Lapplands, gehe es um Liebe, sagt der Regisseur und Drehbuchautor. »Liebe in radikaler, nackter, hilfloser, demütiger und demütigender Lebendigkeit, glückselig und erbärmlich.« Das zeigt sein Film, Wort für Wort, und zwar mit einer Radikalität, die dem Medium Fernsehen vollkommen fremd ist. Julia Jentschs Ina bleibt nichts erspart: weder der Tod der Mutter (Susanne Lothar) noch die Gewalt und inzestuöse Zudringlichkeit des Vaters (Ulrich Mühe). Wie es ihr mit Hilfe des rätselhaften Fremden Aron gelingt, aus dieser Familienhölle auszubrechen, wie sie inmitten einer archaisch rauen Welt aus Blut und Fäkalien den Sinn für Schönheit erhält, wie die Gefühle gleichsam ihren frostigen Panzer sprengen, zeichnet Julia Jentsch mit Intensität und Feingefühl nach. In ihren Augen kann man lesen wie in einem Buch.

Die Szenen mit dem Vater gehören zum Härtesten, was der deutsche Film dem Publikum seit langem zugemutet hat. Ulrich Mühe gibt dem Mann Züge eines Raubtiers, immer wieder siegt die Begierde über das Schuldgefühl, drückt sich die illegitime Liebe in Gewalt aus. Mühe entblößt nicht nur den Körper dieses innerlich zerrissenen Bauern, er gibt den Blick auf dessen verwüstetes Seelenleben frei.

»Schneeland« ist ein Kammerspiel unter null, unerbittlich fügt der Regisseur die Elemente einer Liebestragödie zusammen; dem Zuschauer wird schnell kalt ums Herz. Doch ein ums andere Mal dringt Licht ins finstere »Schneeland«-Universum ein. Geißendörfer ist ein Menschenfreund, er kann nicht ohne Hoffnung leben.

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