Kritik zu Running Against the Wind
Zwei Jungs, die es vom Dorf in die Hauptstadt verschlägt, schlagen dort unterschiedliche Wege ein: Jan Philipp Weyls Film wurde 2020 als offizieller äthiopischer Beitrag für die Academy Awards eingereicht
Die Filmlandschaft Äthiopiens ist hierzulande, trotz einiger zumeist internationaler Koproduktionen, noch weitgehend kinematografisches Niemandsland. »Ephraim und das Lamm«, eine dörfliche Coming-of-Age-Geschichte von Yared Zeleke, war 2015 der erste äthiopische Film, der zu den Festspielen nach Cannes eingeladen wurde.
Wie Zelekes Film schaut auch Jan Philipp Weyls »Running Against the Wind« optimistisch auf den gesellschaftlichen Wandel Äthiopiens. Entstanden 2019, ist der Film – Untertitel »Eine Liebeserklärung an Äthiopien« – nun ungewollt ein Abgesang auf das Land, das im Jahr darauf in einem Bürgerkrieg um die Provinz Tigray mit Hunderttausenden Toten, Millionen Flüchtlingen und einer katastrophalen Hungersnot versank.
In Weyls Erstlingswerk geht es um Menschen, die auf unterschiedliche Weise versuchen, dem scheinbar vorgezeichneten Leben zu entfliehen. Abdi (Ferhane Beker, später Ashenafi Nigusu) und Solomon (Alamudin Abduselam, später Mikiyas Wolde), zwei Zwölfjährige, wachsen zusammen in einem abgelegenen Dorf auf. Der Fotoapparat eines durchreisenden Touristen löst in Solomon eine solche Begeisterung für das Fotografieren aus, dass er sie stiehlt und heimlich das Dorf verlässt, um in Addis Abeba Fotograf zu werden. Abdi will seinen Traum wahr machen, ein berühmter Läufer zu werden wie Äthiopiens Langstreckenlegende Haile Gebrselassie, der in dem Film einen kurzen Cameo-Auftritt hat. In der Hauptstadt kreuzen sich die Wege der erwachsenen jungen Männer wieder. Abdi hat den Sprung in die Nationalmannschaft geschafft, während Solomon, der eine kleine Familie gegründet hat, in die Fänge einer Gangsterbande geraten ist.
Weyl erzählt seine Geschichte recht konventionell. Den größeren Anteil hat der Fotograf Solomon, vermutlich, weil das großstädtische Flair, in dem er sich bewegt, optisch mehr hergibt als das eintönige Trainingsregiment, dem sich der Langstreckenläufer Abdi unterwirft. Beide Figuren bleiben dabei etwas blass, sind eher Typen, die für unterschiedliche Lebenswege stehen. Das vorhersehbare Happy End kippt, nachdem einige Hürden genommen sind, allzu sehr ins Melodramatische.
Die Hauptrolle spielt ohnehin das Land selbst, in dem Weyl einige Jahre lebte und dessen Landessprache Amharisch er fließend spricht. Wie sehr ihn dessen soziale und kulturelle Kontraste faszinieren, vor allem die zwischen der erhabenen Schönheit der Landschaft und dem urbanen Flair der Hauptstadt Addis Abeba, sieht man jeder Einstellung an (Kamera: Mateusz Smolka). Einen optischen Akzent setzt der Film schon zu Beginn, wenn er aus der Vogelperspektive einen Läufer zeigt, der sich in Zeitlupe durch eine goldgelb glänzende Landschaft wie durch ein abstraktes Gemälde bewegt. Unterlegt mit einem vitalen folkloristischen Soundtrack (Musik: Seleshie Demissie Kenny), ist »Running Against the Wind« eine Erinnerung an friedlichere Zeiten.
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