Kritik zu Rimini
Im ersten Teil seiner auf zwei Spielfilme angelegten Erzählung über zwei Brüder rückt Ulrich Seidl das haltlose Leben eines abgehalfterten Schlagersängers ins Zentrum, der in einem winterlich-melancholischen Rimini ältere Damen beglückt
»Kein schöner Land in dieser Zeit«, singt uns zu Beginn von »Rimini« etwas schief der Chor der Alten im Heim vor; aufgenommen aus der für Ulrich Seidls visuellen Stil charakteristischen Distanz, frontal vor der Kamera und entlang der Mittelachse angeordnet. Dann irrt ein alter Mann, einer der Sänger, auf der Suche nach einem Weg nach draußen – vielleicht ist es auch ein Ausweg, den er sucht – durch die Gänge des Gebäudes und scheitert an verschlossenen Türen, die mit Fototapete beklebt sind – Ziegelmauer, Holzstoß, Wald –, aber keine will sich ins versprochene Idyllische öffnen.
Doch um den alten Mann im Heim geht es gar nicht, beziehungsweise nur insoweit das Erbe der Väter die Träume und Möglichkeiten der Söhne bestimmt; und dieser spezielle alte Mann – dargestellt von Hans-Michael Rehberg in seiner letzten Rolle und mit einer besonders perfiden Mischung aus demenzbedingter Hilflosigkeit und altersstarrsinniger Verbohrtheit ausgestattet – ist ein eingefleischter Nazi, dem zwar das Passwort zu seinem Konto entfallen sein mag, der aber doch eines noch ganz genau weiß: »Jedem das Seine.«
Wo aber liegt nun jenes schönste Land, von dem da anfangs gesungen wurde? Jenseits der Alpen, dort, wo die Zitronen blühen, in Italien also. In »Rimini« muss Richie Bravo, der Sohn des Alten, in den sauren Apfel beißen, der nicht weit vom Stamm gefallen ist. Als nämlich eines Tages seine so gut wie erwachsene Tochter Tessa bei ihm auf der Matte steht und nicht geleistete Unterhaltszahlungen von ihm verlangt. Und zwar bitte sofort und alles auf einmal.
Man weiß zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Bravo eine recht prekäre, um nicht zu sagen erbärmliche Existenz als abgehalfterter Schlagersänger und auf ältere Damen spezialisierter Gigolo führt – Richie versteht es, von der Liebe zu knödeln, dass es eine Art hat; seine auch nicht eben glamouröse Villa vermietet er an seine eingefleischten Fans, während er selbst in einem kargen Zimmer in einem leerstehenden Billighotel nächtigt. Denn es ist außerhalb der Saison und die Trostlosigkeit und die Einsamkeit Riminis sind tief und unbegreiflich.
Rimini – Sehnsuchtsort an der Adria, Gelato und Spaghetti, Dolce Vita und Amore. Im Sommer von Touristen überlaufen, die am Strand in der Sonne liegen, Handtuch an Handtuch, und ihren Urlaub am Meer genießen. Und im Winter? Nebelschwaden verhüllen See und Himmel, Badehütten und Bars, aus Nieselregen wird Schnürlregen, am End' fegt der Wind sogar Schnee durch die leeren Straßen und über die verlassenen Plätze; entlang derer, der unwirtlichen Witterung ausgesetzt, Geflüchtete kauern, wie Treibgut angeschwemmt, in Decken eingehüllt, schweigend und passiv. Bravo nimmt sie – die gleichermaßen darauf warten, dass das Glück ihres Lebens sich endlich realisieren möge – kaum zur Kenntnis, wenn er in seinem grindigen Seehundfellmantel von Gig zu Gig eilt und versucht, Geld aufzustellen für seine Tochter, die seine letzte Chance sein könnte, »ein guter Mensch« zu werden. Er ahnt nicht, dass die Staffage der Elenden dabei noch eine etwas aktivere Rolle übernehmen wird.
Nun sind Seidls Arbeiten im Allgemeinen nicht für ihre überschwängliche Empathie bekannt; immer wieder gerne werden dem österreichischen Filmemacher Zynismus und die Ausbeutung insbesondere der Protagonist:innen seiner Dokumentarfilme vorgeworfen. Jedoch wird einerseits niemand dazu gezwungen, in einem Seidl-Film mitzuwirken, und andererseits kann man es wohl kaum jemandem zum Vorwurf machen, wenn er die Welt nicht durch die rosa Brille betrachten möchte. Ja, angesichts dessen, was Seidl sieht und in seinen Filmen zeigt, will einen des Öfteren das Grauen packen. Im Fall von »Rimini« lässt es einen aber auch sofort wieder los; was nicht zuletzt Michael Thomas zu verdanken ist, dem Seidl die Rolle des Richie Bravo auf den stattlichen Leib geschrieben hat und der sich diesen armseligen Helden, der armselige Träume bedient und dabei um seine eigenen kämpft, bedingungslos solidarisch zu eigen macht.
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