Kritik zu Rabia – Der verlorene Traum
Basiert auf realen Ereignissen: Mareike Engelhardt erzählt von zwei jungen Französinnen, die sich im Zuge ihrer Radikalisierung dem IS in Syrien anschlossen
Im Flugzeug sprechen Jessica (Megan Northam) und Leila (Natacha Krief) über das Paradies, doch was sie bei der Landung erwartet, ist die Hölle. Die französischen Teenagerinnen reisen, offenbar gelockt von falschen Versprechungen, nach Syrien, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen. Dort finden sie sich in einem autoritär geführten Frauenhaus wieder, das darauf ausgerichtet ist, zukünftige Ehefrauen an IS-Kämpfer zu vermitteln und möglichst viele Kinder zu produzieren. Die Geschichte ist inspiriert von realen Ereignissen. Regisseurin Mareike Engelhardt hat für ihr Spielfilmdebüt mehrere Jahre recherchiert und mit Frauen gesprochen, die aus Syrien zurückgekehrt sind.
Wie konnte es dazu kommen, dass sich zwei junge Frauen zu einem so drastischen Schritt entscheiden? Antworten auf diese Frage gibt »Rabia« nur bedingt. Jessica, die zum Zentrum des Films wird, hat offenbar eine problematische Familiengeschichte, fühlt sich als Pflegekraft ausgebeutet und allgemein nicht wertgeschätzt. Aber reicht das als Erklärung für die Wut, die sie nach eigener Aussage gegen den Westen hegt? Wie genau fand der Kontakt mit dem IS statt und ist es einfach nur Naivität und Unwissenheit, dass sie glaubte, dieser biete ihr ein besseres Leben?
Da der Film erst mit der Abreise einsetzt, lässt sich über vieles nur spekulieren. Umso akkurater zeigt »Rabia« die Vorgehensweisen vor Ort. Persönliche Gegenstände müssen bei der Ankunft ebenso abgegeben werden wie die Namen. Jessica wird zu Rabia, ihre vorherige Identität quasi ausgelöscht. Die über das Frauenhaus herrschende Madame (Lubna Azabal) gibt sich zunächst auf perfide Art freundlich, um im entscheidenden Moment ihre Erbarmungslosigkeit zu offenbaren. Das Frauenhaus entpuppt sich als Ort, der Freiheit vorgaukelt und das Gegenteil beinhaltet; wie als Untermalung gestaltet sich die Ausleuchtung der Räumlichkeiten mit der Zeit immer dunkler.
Schon bald kommt für Rabia der brutale Realitätsschock: Zunächst will sich der für sie bestimmte Ehemann an ihr vergreifen, als sie sich widersetzt, wird sie ausgepeitscht. Und dann geschieht das Schockierendste: Nach ihrer Bestrafung bekommt Rabia das Angebot, wieder nach Hause zurückzukehren. Doch die hilflose und offensichtlich gebrochene Rabia entscheidet sich dafür, zu bleiben, und wird zur rechten Hand der Madame. Ein Verhalten, über dessen Gründe man kontrovers diskutieren kann. Rabia bleibt eine Figur, die die Zuschauenden mit Fragen zurücklässt. Dass sie trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – auf erschütternde Weise in ihren Bann zieht, liegt auch an der Ausdruckskraft, die Megan Northam insbesondere in ihr Gesicht und ihre unverkennbar hervorstechenden Augen legt. Erschreckend mit anzusehen ist es, wenn Rabia zum ersten Mal selbst eine Auspeitschung vornimmt und sich Angst und Verzweiflung langsam in Entschlossenheit und Härte verwandeln. Erst gegen Ende lassen die Ereignisse diese Härte wieder aufbrechen und machen Platz für Zweifel und Entsetzen.
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