Kritik zu Pre-Crime
Videokomplettüberwachung, Gesichtserkennung, Programme zur Vorhersage von Verbrechen: Der Dokumentarfilm von Monika Hielscher und Matthias Heeder zeigt, dass die Wirklichkeit der Science Fiction immer näher kommt
Gerade wurde in Deutschland lebhaft über einen Versuch mit videotechnischer Gesichtserkennung von Passanten am Berliner Bahnhof Südkreuz gestritten. Eine grafisch aufgemotzte Version der Art von Bildern, die bei der Vernetzung solcher Aufnahmen aus dem öffentlichen Raum mit entsprechenden Mega-Datenbanken entstehen könnten, liefern den illustrativen Grundton dieses Films. Dabei öffnen sich um die in Kästchen eingescannten, auf der Straße gehenden oder stehenden Figuren weitere Kästchen mit Infos zu Vorstrafen, Wohnort oder Kreditkarte und ergeben die Illusion eines Porträts.
Staatliche und private Datenkraken stehen nicht erst seit den Snowden-Enthüllungen im Visier der kritischen Öffentlichkeit, in Deutschland wurden sie Thema spätestens bei der Einführung der Rasterfahndung durch BKA-Chef Horst Herold in den späten 70er Jahren. Doch die Entwicklung ist rasant. »Pre-Crime« (ein Begriff, den die Filmemacher mit leicht veränderter Rechtschreibung aus Spielbergs »Minority Report« entlehnt haben) problematisiert als neueste Trends im Sicherheitsbereich die Verknüpfung polizeilicher Tätigkeit mit dem kommerziellen Big-Data-Business und das Versprechen, Verbrechen vorherzusagen. Allerdings soll das, anders als bei Spielberg, in der Realität nicht durch menschliche »Precogs«, sondern durch klug eingesetzte Algorithmen geschehen.
Bei der mit unterschiedlichem Erfolg praktizierten geografischen Variante dieses »Predicting Policing« soll die Software Ort und Zeit der vermuteten nächsten Straftaten vorhersagen. Brisanter aber sind Modelle, die personenbezogen arbeiten, wie die SSL (strategic suspect list) der Chicagoer Polizei, die aus gesammelten Daten eine sogenannte Heat-List von zwanzig Personen je Bezirk zusammenrechnet. Diese werden dann von der Polizei auf ihren Status angesprochen (und damit stigmatisiert), wie der im Film porträtierte junge Afroamerikaner Robert MacDaniel, der wegen Kleinigkeiten oft mit der Polizei Kontakt hatte – und einen besten Freund, der nicht etwa Täter war, sondern einem Verbrechen zum Opfer fiel.
In London mit seiner flächengreifenden Kameraüberwachung verschickt das ähnlich aufgestellte Präventivmodell »Matrix« Warnbriefe an jugendliche Gangmitglieder. Ob das nicht als Wissenschaft getarntes racial profiling sei, fragt der Londoner Expolizist Leroy Logan, einer der vielen für diesen Film befragten Kritiker aus Wissenschaft und Gesellschaft. Und wirklich scheint ein Hauptmotiv für den Erfolg des blühenden Geschäfts mit dem automatisierten Scoring die scheinbar wissenschaftlich abgesicherte Neutralität zu sein.
In der Praxis sind die Unschärfen aber enorm. Und jedes Programm wurde vorher von jemandem geschrieben. Viel genauer wird »Pre-Crime« leider nicht in einer zum Schwindeln schnell geschnittenen Melange aus zerschnipselten Statements, Reenactment-Szenen und Illustrationen, die höchstens mit der Stopptaste am Videoplayer zu bändigen wäre. Dafür stellt in der behäbigen Rahmenerzählung ein dekorativ an einer Meeresküste drapierter und brav analog sketchnotender Mann dämliche Fragen wie “Warum tun wir uns diese Technologien an?”
Kommentare
edgar.loesel@gmx.de
Diese Kritik benennt relevante Probleme von "Pre-Crime" wie sie auch im Film zur Sprache kommen, den ich beileibe nicht als so "zum Schwindeln schnell geschnitten" empfunden habe. Gewiss ist dieser Dokumentarfilm plakativ für einen Kinoeinsatz inszeniert, aber die Frage des zeichnenden Mannes (Matthias Heeder) "Warum tun wir uns diese Technologien an?" ist für mich nicht dämlich, sondern sehr berechtigt. Die Szenen am Meer sind dabei durchaus sinnvoll gesetzte filmische Ruhepunkte.
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